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Zu gut um wahr zu sein: der Suscovich-Chicken Tractor
Ingmar Hofhuhn-Projekt, Reportage, Tagebuch
Der Unterschied zwischen Bauern und Gärtnern ist für mich immer die Freude am Kleinklein. Ich habe eine Zeit auf einem Betrieb gelernt auf dem es sowohl Landwirtschaft als auch Gartenbau gibt und die Male die ich im Garten habe aushelfen müssen, haben mich doch immer frustriert. Ich bin kein Großmaschinenjunkie, überhaupt nicht, aber jeden einzelnen Zentimeter Boden abzuscannen und Unkräuter (jaja, “Beikräuter”) Stück für Stück herauszuziehen ist einfach nicht meins. Lange hätte man meinen Lifestyle als funktionierendes Provisorium beschreiben können. Inzwischen muss ich aber doch mehr Nägel mit Köpfen machen, das ist wohl das Erwachsen werden. Dazu gehört dann auch, sich mal bis ins Detail mit Dingen auseinanderzusetzen und sie nicht nur gut zu durchdenken, sondern auch so zu bauen.
Diese Einleitung kann vielleicht meine Skepsis beschreiben, als es daran ging für meine Küken eine Zwischenlösung zwischen der geschützten Aufzucht der ersten Wochen und der ultimativen Freiheit des späteren Lebens zu finden und diese sowohl mobil, als auch super funktionell zu gestalten. Wir Deutschen haben eine große Affinität zu festbetonierten Dingen, die bei Hühnern allerdings fehl am Platz sind, weil sie jeden Fleck Erde drumherum innerhalb kürzester Zeit von oberflächlichem Leben befreien.
Es geht um Küken. Ich hoffe das reicht, als Hinweis, so dass ich nicht drauf eingehen muss, warum ich keinen Bauwagen ausbaue.
Eine einfache Idee von hinterm Teich
Die Lösung für die ich mich nach langem hin und her entschieden habe ist ein sogenannter Chicken Tractor. Ich habe noch kein ordentliches Wort gefunden, ich werde in diesem Text mal Schleifzelt nutzen, das ist aber nur ein Arbeitstitel der mir in diesem Moment gekommen ist. In der amerikanischen Homesteader-Szene, unter den Selbstversorgern, haben die Schleifzelte, die dort konsequent Chicken Tractors genannt werden, eine große Verbreitung. In Deutschland habe ich bisher eigentlich nur eine Umsetzung vom Selbstversorgerkanal gesehen, der einige Sachen ähnlich, einige aber auch sehr anders gemacht hat.
Um es auf einen Satz zu bringen; mein Ding soll Spaß machen. Das heißt, dass man es auch einfach versetzen kann, wenn man mal keine Zeit oder keine Lust hat sich intensiver mit den Tieren zu beschäftigen. Das ist eine Erfahrung die ich bei den vielen Kleinvieh-Projekten gemacht habe, die ich seit frühester Kindheit durchgezogen habe: lieber in dem Moment in dem man Lust drauf hat einen Handgriff mehr machen, als dass man sich für lange Zeit mit Abkürzungen und schnellen Lösungen herumschlagen muss.
Das Schleifzelt (ich mag den Namen jetzt schon nicht mehr, es hört sich an wie “E-Post” auf der NPD-Website) ist die aufgemotzte Variante der Kaninchen-Ausläufe die ich früher gebaut habe. Eine, überall außer unten, geschlossene Lösung. Nach einiger Online-Recherche habe ich mich für das Modell von John Suscovich entschieden, der die Original-Idee von Joel Salatin meiner Meinung nach am besten weiterentwickelt hat. Der größte Pluspunkt ist die Höhe, das passt zu meiner Überzeugung, dass Tiere auf Dauer nur in Ställen gut versorgt werden in die die Verantwortlichen gerne hineingehen. Suscovichs Modell punktet vor allem durch eben diese lichte Höhe die das Gebäude hat. In seiner Variante etwa 1,80m, bei mir waren es am Ende über 2m. Sämtliche Einrichtungsgegenstände (Futter, Wasser) sind aufgehängt, so dass man den Stall auch mal bewegen kann, ohne hinein gehen zu müssen. Stehen Tränken und Tröge auf dem Boden, muss man sie hinausnehmen und nach dem Umziehen wieder hineinstellen. Das ist alles extra Arbeit, vor allem wenn man das Umstellen und Füttern zu verschiedenen Zeitpunkten machen möchte. Eine detaillierter Anleitung auf Englisch kann man bei Amazon kaufen “Stress-Free Chicken Tractor Plans” nennt sich das schmale Büchlein und ist für knapp über 10 Euro erhältlich. Ich habe das Modell ein wenig abgewandelt. Um die Abwandlungen verstehen zu können, schaut doch vielleicht einmal Suscovichs kurze Vorstellung des Modells an:
Etwas Jazz über Suscovichs stressfreie Baupläne
Die erste Abwandlung waren die Bretter. In den USA baut man viel aus den sogenannten “Zwo-by-fours”, die ungehobelt 2×4 Zoll, also etwa fünf auf zehn Zentimeter, messen. Ich habe Bretter genommen die wir noch da hatten, 2x12cm, was meiner Meinung nach gleichzeitig Gewicht reduziert, Stabilität hinzugefügt und vor allem dafür gesorgt hat, dass ich keine sogenannten Überblattungen nutzen musste. Überblattung nennt sich das, wenn man an der Verbindungsstelle von beiden Teilen etwas wegnimmt, so dass sich die Verbindung auf der gleichen Ebene befindet wie alles andere, es wird also nicht “draufgeschraubt”, sondern “eingelassen”. Das ergibt Sinn und gibt Stabilität wenn das Material 5x10cm ist, bei zwei Zentimeter dicken Brettern aber nicht. Das zweite was ich anders gemacht habe, war der Aufbau. Ich bin gerade dabei ein Gewächshaus aus PVC-Kabelkanälen, diesen weißen Rohren durch die man Elektrokabel verlegt, zu planen. Suscovich nimmt Metallrohre, die er mit einem extra Gerät biegen muss, ich habe mich für 20mm PVC-Rohre entschieden, die in 2m Länge kommen.
Oben habe ich sie mit einem 90°-Winkelstück verbunden, was die ganze Geschichte im Vergleich zu einem runden Bogen ohne Winkelstücke sehr verschlankt und in die Höhe zieht. Gleichzeitig spart man viel Gewicht und Geld und das Weniger an Stabilität, dass mit den dünnen Plastikrohren einhergeht, ist am Ende, wenn Draht und Plane befestigt sind nicht so groß, als dass man Futter und Wasser nicht mehr aufhängen könnte. Oben verbindet ein längs des Giebels verlaufendes Rohr die Streben und hält sie – verbunden durch Schlossschrauben – an ihrem Platz. An diesem Rohr kann man dann auch alles aufhängen was das Herz begehrt.
Meine letzte Anpassung ist ein bisschen aus meiner Situation geboren, dass ich aktuell nur ein Schleifzelt (ich brauche einen anderen Namen) habe und das ist die Absicherung gegen Raubtiere. Unser Hof liegt genau zwischen zwei Fuchsbauten und aktuell ist für die Füchse die Zeit in der die Kleinen viel zu fressen brauchen, aber noch nicht selbst jagen können. Eine Woche bevor die Küken geschlüpft sind, haben wir das mit unseren sechs, sieben Legehennen bezahlt, die zwar tagsüber frei laufen, nachts aber eingesperrt sind. Eigentlich sind Raubtiere für mich immer das größte Argument für einen festen Stall gewesen und ich hätte es mir lange nicht anders vorstellen können. Mein Auseinandersetzen mit Ideen der Amerikaner hat sich aber voll und ganz ausgezahlt: sie arbeiten haben nämlich trotz Bedrohung durch Bären und Koyoten, gegen die unsere Füchse ja Kuscheltiere sind, den ganzen Sommer mit mobilen, bodenlosen Varianten und das geht, weil Tiere Angst vor Strom haben. Füchse buddeln sich unter Fundamenten hindurch, allerdings nicht planvoll und strategisch, sondern auf der Suche nach einem Weg hinein. Das heißt, es reicht ein einfacher Draht, der wenige Zentimeter vom Stall entfernt knapp über dem Boden verläuft um sie abzuschrecken. Ist das verständlich? So schlau Füchse sind, sie würden nicht auf die Idee kommen 30cm entfernt mit dem Buddeln anzufangen um den Strom zu umgehen, sondern geben frustriert auf. Während Suscovich aber einen mobilen Zaun hat, den er jeden Tag ab- und aufbauen muss, habe ich mich dafür entschieden, den Zaun einfach am Mobil zu befestigen und ein kleines Elektrozaungerät innen anzubringen, das ich über ein Verlängerungskabel speise. Das heißt, mein einziger Aufwand ist, immer 30m von einer Steckdose entfernt zu sein, oder ein längeres Kabel zu kaufen. Das finde ich ein gutes Arrangement. Suscovich nutzt mehrere der Ställe gleichzeitig und zieht einen Zaun um alle herum. Wenn ich weitere in Benutzung nehme, muss ich mich entscheiden, ob ich den Zaun wieder abbaue und ebenfalls einen einzigen Zaun für alles nutze, oder ob ich die Ställe nicht nebeneinander fahre, sondern versetzt hintereinander und dann einfach mit einem kurzen Draht mit Klemme den Strom vom ersten Chicken Tractor auf die anderen übertrage. Kraft genug hat das Minigerät auf jeden Fall.
Da ein Weidezaungerät auch immer geerdet sein muss, habe ich eine weitere Anpassung vorgenommen. Den Eisenstab den ich zur Erdung benutze, habe ich fest am Rahmen des Chicken Tractors befestigt, so dass ich ihn gemeinsam mit allem anderen versetze. Die ersten Tage hatte ich ihn noch extra. Dass er in der Zeit nicht abgerissen ist, lag nicht daran dass ich ihn so aufmerksam und konzentriert immer rechtzeitig herausgezogen habe, sondern dass ich den Verbindungsdraht zum Gerät in weiser Voraussicht von Anfang an mit einem Kabelbinder gesichert habe. Zur Verbindung zwischen Weidezaungerät, Stromzaun und Erdungskabel habe ich mir das zweiadrige Kabel eines alten Schwingschleifers unter den Nagel gerissen. Die Erdung ist genau wie der Zaun direkt am Mobil, so dass ich mir dadurch ordentlich Kabelsalat gespart habe.
Die Räder habe ich im Vergleich zu John Suscovich nicht weiter modifiziert. Sie laufen auf Gewindestangen am hinteren Ende der Geschichte und sind schnell draufgesteckt. Ich habe zwei alte Räder einer Paketkarre genommen, zum Ziehen der ganzen Angelegenheit habe ich aus Ballenschnüren und einem Stück Gartenschlauch einen Griff gebaut der von der Länge her so ist, dass ich ihn mit leicht gebeugten Knien aufnehme und das Gefährt durch mein Aufrichten die zwei, drei Zentimeter anhebe die es braucht um bewegt werden zu können.
Mein Fazit:
Das Teil ist genial. Es ist kinderleicht zu versetzen. Durch meine Anpassungen auch ohne, dass ich vorher hineingehen muss. Im Sommer brauchen die Tiere keinen weiteren Unterschlupf oder Stall, die Plane schützt sie ausreichend vor allem was schlimm ist. Für meine kommenden Entenküken werde ich wahrscheinlich einen weiteren Chicken Tractor bauen, auf Dauer könnte ich mir gut vorstellen, darin auch Wachteln zu halten, für die ich bisher keine Möglichkeit einer Haltungsform gesehen habe, die mit meinen Vorstellungen von ökologischer Tierhaltung vereinbar wäre. Ein einzelner Chicken Tractor wäre tiptop für eine Familie die sich ein paar Hennen für Frühstückseier halten möchte. Hinten ein paar von außen zu entleerende Nester eingebaut und die Futter- und Wassergeschichten so angelegt, dass sie nur einmal die Woche befüllt werden müssen und man hat an täglichen Routinen 20 Sekunden Stall umsetzen und einmal in der Woche 20 Minuten Futter- und Wasserbehälter reinigen und befüllen. Zackfeddich.
Die Abmessungen meines Stalles sind 180x300cm, der untere Rahmen aus Holz ist 50cm hoch, die Tür 160cm (der Türrahmen außen 180cm) und der Giebel etwa 210cm. Die Materialkosten liegen je nachdem wie viel man noch hat (ich hatte die Bretter, die Isolatoren für den Zaun und die Litze am Hof) zwischen 30 und 150 Euro, wobei allein das Weidezaungerät knapp 50 Euro kostet. Mich hat der Chicken Tractor mit Zaungerät etwa 80 Euro gekostet und das ist er mehr als wert.
Hühnchen Adé: mit einem Rezept zum Flexitarier
Ingmar Diskussion, Favoriten, Hofhuhn-Projekt, Philosophie
Dinge hängen oft zusammen. Manchmal sind die Zusammenhänge aber auch reziprok. Das ist ein schlaues Wort dafür, dass die Sachen zwar zusammenhängen, aber genau umgekehrt als man es annehmen würde. Glaube ich. So hat mich vor knapp anderthalb, zwei Jahren ein tolles Hühnchen-Rezept dazu gebracht, kein Hühnchen mehr essen zu wollen.
Kulinarisch minderwertige Teile
Wir Europäer haben ein seltsames Verhältnis zum Geflügel. Wir essen am liebsten den fadesten, trockensten und überhaupt langewiligsten Teil der Vögel: das Brustfleisch. Als ich mal eine Zeit lang versucht habe mir Elemente der asiatischen Küche anzueignen, habe ich in den Geschäften neben den ganzen Marinaden (Sojasoße, Austernsoße, Fischsoße, Chillipasten..) und Gewürzen (diverse Chillies, Kurkuma) vor allem ein Fleischteil vermisst: “boneless Chicken Thigh”; ausgebeinte Hähnchenschenkel. Mein Bruder, der Kraftsportler ist, wusste genau weswegen er die Schenkel nicht essen wollte: zu viel Fett. Für alle normalen Menschen aber: warum gibt es das nicht? Jedes asiatische Rezept ist mit Hähnchenschenkeln. Hähnchenbrust schicken sie wahrscheinlich als “Reste” an Asiashops in Deutschland, wo wir wannabe-authentischen Weltköche sie dann für einen Spottpreis kaufen.
Ich bin ein pragmatischer Mensch. Das liegt wahrscheinlich in gleichem Maße an meinem landwirtschaftlichen Hintergrund wie an meinem Aufwachsen im Hunsrück. Einer Gegend voller Pragmatiker. Als versierter aber bettelarmer Foodie und Student wusste ich natürlich Abhilfe. Bei Famila in der Wik waren ganze Hähnchen im Angebot. Keine zehn Euro für einen ordentlichen Brummer. An einem freien Vormittag schwang ich mich also aufs Fahrrad und kaufte mir zwei, drei Hähnchen. Außer dass ich pragmatisch bin hab ich nämlich auch noch ein paar grundlegende Hausschlachtungs-Skills. Ich wollte mir meine “Boneless Chicken Thights” einfach selbst bauen. Zuhause am Filetiermesser bekam ich aber erste Zweifel an meiner Entscheidung. Ich hatte extra einen Vormittag abgewartet an dem meine Freundin in der Uni war, sie stand schon vorher nicht so auf Schnellmast-Hähnchen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nur unsere eigenen Hähnchen zuhause auseinandergenommen. Die paar die durchgekommen sind, wenn eine meiner Hennen gebrütet hatte. Das waren eher Hungerhaken, ein anderer Schnack. Die breite Brust fand ich ganz ansprechend. Man ist es ja auch irgendwie gewohnt, dass Hähnchen so aussehen. Die Optik war aber noch nicht das was mich zweifeln ließ. Denken können hätte ich es mir aber schon ziemlich von Anfang an.
Zum Beispiel als ich den ersten Schenkel fast ganz herumbiegen musste, bis genug Spannung aufgebaut war um einen trennenden Schnitt machen zu können und dieser trennende Schnitt ging dann auch gleich durch das Kugelgelenk im Oberschenkel ging. “OK”, dachte ich aber noch. “Sind halt junge Tiere.” Das Abnehmen der Brust war auch kein Problem, einfach einmal am Rippenbogen entlang (sicherheitshalber hatte ich mir vorher ein Video von Scott Rea angeschaut). Jetzt noch die Flügel ab und das Tier war zerlegt. Frisch und fröhlich ans Ausbeinen. Dachte ich mir.
Das Fleisch, das nicht wie Fleisch war
Wenn man wie ich meistens mit größeren Tieren wie Rindern, Ziegen, Schweinen und solcherlei gearbeitet hat, hat man eine gewisse Erwartung daran, wie sich das Fleisch beim Schneiden verhält. Ich denke doch, dass die meisten zumindest mal ein Medaillon aus einem Filet geschnitten haben, oder Geschnetzeltes aus einem größeren Stück Rindfleisch. Fleisch gibt beim Schneiden ein wenig nach, bewegt sich mit der Schneidebewegung des Messers mit und widersetzt sich ein bisschen dem zerschnitten werden. Das war irgendwie auch meine Erwartung an die Hähnchenschenkel, als ich den Knochen herausnehmen wollte. Die Realität war aber, dass sich dieser Moment, in dem das Messer beim Zerschneiden greift und beginnt die Fasern zu durchtrennen nicht einstellt. Das Schenkelfleisch, dass als “dunkel” gilt, also durch Bewegung gestärkt und durchblutet, war ein einziges Gewabbel. Ich riss es eher auseinander als dass ich es schnitt. Ich suche seitdem nach einem Vergleich, aber ich finde nicht so wirklich einen. Irgendwie puddingmäßig hab ich es immer genannt, am nächsten kommt es der Vorstellung in ein Silikonimplantat zu schneiden. Kein eingebautes selbstverständlich. Nicht, dass ich mich mit der Thematik näher beschäftigt hätte, aber in den Dokus die ich gesehen habe, sahen mir die Implantate so aus, als sei ihr Inneres so weich, dass ein Schnitt nicht aufklappen würde, sondern irgendwie wieder zusammenwabbeln. Das hatte nichts mit dem zu tun, was ich mir von dem Schenkelfleisch der Hähnchen erwartet hatte. Ich dachte, dass zumindest das Fleisch der Beine ein wenig Struktur hätte. Pustekuchen.
Geschmeckt haben die ausgebeinten Schenkel wiederum ganz gut. Besser als das Brustfleisch auf jeden Fall. Einen Teil habe ich stumpf und simpel mit Brathähnchengewürz im Kontaktgrill gemacht. Wie gesagt, leckerer als Hähnchenbrust. Den anderen Teil der Schenkel habe ich in das folgend verlinkte Rezept verarbeitet. Das – laut dem Autor – international berühmteste Burmesische Gericht: “Oh – no – Khao – swe”. Nudeln in Kokosnuss-Kichererbsen-Brühe (mit Hähnchen). Lest es euch durch und kocht es nach. Ich bin kein Kokosfan, aber ich bekam so Lust auf das Gericht, als ich es im Rahmen der “#noodleholicparty” gefunden habe. Ich hatte große Angst vor Salmonellen (eigentlich wollte ich schreiben “ich hatte Bauchweh”, aber dann hätte ich noch einen extra-Satz schreiben müssen, dass das nur gefühltes Bauchweh war, denn es ist ja nix passiert), als ich das Hähnchenfleisch im Standmixer geschreddert habe, aber das Ergebnis hat mal wieder bewiesen, dass es sich lohnt, die bekannten Pfade zu verlassen.
Ein einprägsames Erlebnis
Das Fleisch dieser Hähnchenschenkel, das Gewabbel beim Versuch es vom Knochen zu trennen, die vollkommene Faser- und Strukturlosigkeit im wichtigsten Bewegungsmuskel der Tiere hat bei mir aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich war als Student bitterarm. Nach dem Erlebnis habe ich aber aufgehört, mir Hähnchen zu kaufen. Ein Brathähnchenstand kann so verführerisch riechen wie er möchte, ein Angebot so gut sein wie es will: ich bin raus aus der Nummer. Putenfleisch habe ich mir vorher schon nicht gegessen, weil ich auch die Bilder aus der einem ordnungsgemäß geführten Betrieb widerlich finde, dasselbe mit Garnelen, die ich mir auch in Bio-Qualität aus Übersee nicht antun möchte. In der Gegend von Kiel gibt es Fördegarnelen und in München Crusta Nova, ich denke, dass ich bei Gelegenheit mal Produkte dieser Firmen probieren werde. Wenn ich Hühnchenfleisch kaufen wollen würde, würde ich mir mal anschauen, wo ich Produkte von „Odefey und Töchter“ bekommen kann.
So hat sich bei mir bei immer mehr Sorten Fleisch eine Abneigung entwickelt, die für mich einen Verzicht auf sie nicht schwierig machen. Vor einiger Zeit kam die Einsicht dazu, dass ich den Geschmack von Schweinefleisch nicht mag. Zumindest den von konventionellen (ja, da gibt es Unterschiede) und der Gedanke, dass ich es für mich dämlich finde etwas mit Marinade zu essen, dass mich ohne Marinade abstößt. Wenn ich selber koche, oder wenn meine Freundin Marieke und ich gemeinsam kochen, ist es oft, wenn nicht sogar meistens vegetarisch. Ich wohne inzwischen wieder auf einem Hof, habe also fast unbegrenzt Zugang zu unserem eigenen Demeter-Fleisch, ich versuche aber trotzdem, weniger als ein halbes Kilogramm in der Woche zu mir zu nehmen – ohne dabei zu verkrampfen aber. Das ist das mit Abstand wichtigste: es muss natürlich passieren. Nicht auf Krampf. Ansonsten würde ich mit Sicherheit den Spaß am Essen verlieren und vermutlich damit anfangen anderen Leuten ihr Fleisch madig reden zu wollen und wäre in der Besserwisser-Mühle, in der sich viele Menschen selbst isolieren, die durch ihren persönlichen Verzicht eigentlich etwas gutes tun möchten.
Nun aber; welches Fleisch esse ich?
Meine Entscheidungsfindung, ob ich ein Fleisch essen möchte ist im Grunde denkbar einfach. Ich habe als Bauer das Glück einigermaßen Ahnung von Tieren zu haben. Meine Frage an mich selbst ist “hätte das Tier ein gesundes Leben vor sich gehabt, wenn es nicht geschlachtet worden wäre?” wenn ich die Frage bejahen kann, dann esse ich das Fleisch mit Genuss, wenn ich es nicht glaube, dann möchte ich das Fleisch nicht essen. Hähnchen, Puten, Mastschweine, Garnelen und solcherlei würden an den Haltungsbedingungen oder an ihrer genetischen Konstitution verrecken, wenn sie nicht in jungem Alter geschlachtet würden (übrigens auch die meisten „Freilandhähnchen“), Rinder dagegen könnten in der Regel alt werden (auch wenn eine konventionelle Mast auf Vollspalten auch ein Ausschlusskriterium ist, es ist kein kategorisches).
Ein paar Gedanken zu Massentierhaltung
Ingmar Diskussion, Favoriten, Philosophie, Produktion landwirtschaft, massentierhaltung, schwein
Was ist Massentierhaltung? Ab wann ist es Massentierhaltung? Der Begriff erhitzt schon seit dem ersten Aufkommen vor 45 Jahren die Gemüter. Wie auch anders? Er ist von Anfang an mit Tierquälerei verbunden. Der Tierarzt und Verhaltensforscher Bernhard Grzimek schrieb in der „ZEIT“ im September ’73 „Natürlich erfüllt die Massentierhaltung voll und ganz den Tatbestand der Tierquälerei auch nach dem neuen Tierschutzgesetz“ – das steht zumindest so auf Wikipedia, wenn man den Begriff Massentierhaltung bei Google eingibt. Auch interessant vielleicht, dass dies einer der wenigen Begriffe ist, bei dem Wikipedia nicht der erste Vorschlag ist, wenn man ihn googelt.
Niemand möchte Massentierhalter sein. Wobei, ich kenne tatsächlich Menschen, die sagen „ja, das ist Massentierhaltung, da kann man nicht viel herumdeuteln“ – ironischerweise sind das meist „nicht ganz so große“ Bauern, die das über sich sagen. Vermutlich in dem Wissen, dass sie mit ihrem Betrieb noch zu den ganz kleinen Fischen im Güllepott der Massentierhalter zählen.
Mein Verhältnis zu dem Begriff ist etwas ambivalent, weil ich als Landwirt irgendwie ja vom Fach bin. Ich empfinde „Massentierhaltung“ als einen Begriff der genutzt wird, wenn man keine Lust darauf hat, sich differenzierter mit der industriellen/intensiven Tierhaltung zu beschäftigen und keine Lust hat den Euphemismus „intensive Tierhaltung“ zu benutzen. Der Begriff „Massentierhaltung“ ist also irgendwie die Papiertüte, die man der Massentierhaltung überstülpt, um sich nicht weiter damit zu beschäftigen, ob sie nur hässlich ist, oder vielleicht doch eine nette Persönlichkeit hat.
Ich habe also meine Probleme mit dem Begriff. Meine Landwirtschaft ist die der Bilderbücher. Ich sehe meine Tiere auf grünen Flächen und bin überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist. Trotzdem tue ich mich schwer damit, Kollegen pauschal abzuurteilen und zu verunglimpfen. Ich bin nämlich überzeugt davon, dass wenige Dinge wirklich aus bösem Willen oder böser Absicht geschehen.
Warum gibt es also Massentierhaltung?
Es ist am effizientesten. Wenn man Tiere wie einen Werkstoff betrachtet, oder wie eine Maschine, dann sind große Haltungsanlagen der perfekte Ort um sie zu betreiben. So wie die Server von Google oder Facebook abgeschottet unter Tage, staubfrei und fern von UV und anderen bösen Dingen laufen, ist es auch für den hochspezialisierten Prozess der intensiven Tierhaltung das beste, möglichst wenig Unwägbarkeiten zuzulassen. Wenn man sich anschaut, wie viele Eltern ihre Kinder von jedem Keim fern halten, oder Tierhalter ihre Katzen ein Leben lang in der Wohnung einsperren: das Leben an sich ist voller Unwägbarkeiten. Die Natur ist voller Unwägbarkeiten – die industrielle Tierhaltung hat aber nicht die Möglichkeit Fehler zuzulassen. In einer Welt in der alles technisiert und genormt ist, gibt es keinen Spielraum für Fehler.
Und ey, in einer Welt, in der Leistung mit „gesund“ und „gut“ assoziiert wird, einer Welt, in der die Ernährungsweisen immer krasser und krasser werden und jeder seine Makros zählt, ist die intensive Tierhaltung nur das passende Spiegelbild. In Gesprächen mit Landwirten halte ich mich anfangs oft mit Statements etwas zurück, wenn es darum geht, was richtig und was falsch ist. Ich habe früh gelernt, dass es verschiedene Weltanschauungen gibt und dass meine Demeter-Waldorf-Anthro-Blase auch nicht unbedingt Massenkompatibel ist. Ich habe in der Ausbildung zum Landwirt dann gelernt, dass Dinge gut sind wenn sie berechenbar sind und was kann man dagegen argumentieren? Ich kann da nichts gegen sagen, außer dass es mich nervt. Ich kann mich gut an eine Situation erinnern, in der ich einen Landwirt gefragt habe, wie die Hofübergabe läuft. Einen älteren Landwirt wohlgemerkt. Er hat mit den Schultern gezuckt und gemeint, dass es eigentlich alles ganz gut läuft. Dass er nur hofft, dass sein Sohn nicht mehr all zu lange zu verbissen an den Zahlen hängt, weil sonst in ein paar Jahren die Vielfalt wegrationalisiert ist, die den Hof die letzten 30 Jahre ausgemacht hat.
Wie entsteht Massentierhaltung?
Massentierhaltung ist die Ausgeburt eines rationalen Wirtschaftsdenkens in einer Berufsgruppe für die Menschen mit „Landwirtschaft ist Leidenschaft“ werben. Für mich passt das nicht zusammen, aber egal. Das ist nicht mein Bier. Was ist die Berechtigung von Massentierhaltung? Meinen Ansatz dazu bringt der Grünen-Politiker Robert Habeck auf den Punkt. Er hat wohl gesagt „du kannst auch zehn Kühe scheiße halten“ – und das stimmt. Ich bin in dem Moment auf der Seite der Massentierhaltung, in dem es den Tieren besser geht als in einem kleinen Bestand. Viele vielfältige Betriebe versuchen sich aus dem laufenden Betrieb heraus zu erweitern und da werden dann oft kleinere Brötchen gebacken. Das haben die großen Betriebe mit Businessplan und Abnahmeverträgen besser geregelt. Dort wird geklotzt und nach den neuesten „Tierwohl-Standarts“ (in Anführungszeichen, weil eine Farce) gebaut. Durch das gute Management werden die Tiere weniger schnell krank – ob man dieses „nicht krank“ in hermetisch abgeriegelten Einheiten als „gesund“ bezeichnen möchte ist ein anderer Punkt, aber vom Tierwohl-Gedanken her ist es eine gute Sache, wenn die Tiere nicht krank werden.
Ich bin überzeugt von dem Satz „du bist, was du isst“ und wünsche mir meine Produkte von Tieren (und Pflanzen), die aufgrund einer guten Konstitution „gesund“ geblieben sind. Wird ein Tier krank, dann trennt sich für mich die Spreu vom Weizen. Wie dann mit dem Tier verfahren wird, dort habe ich meine Grenze gesetzt. Auf dem Rückfahrt von der Grünen Woche in Berlin hat mich meine Freundin geradeheraus gefragt, was für mich Massentierhaltung sei. Sie kennt meinen etwas schwer zu umreißenden Standpunkt aus Idealismus und Verständnis gut und wollte eine klare Grenze provozieren. Ich musste ein bisschen darüber nachdenken und kam nach 15, 20 Minuten zu einem Schluss:
„Massentierhaltung ist, wenn der Aufrechterhaltung des Prozesses mehr Bedeutung beigemessen wird als dem Wohlergehen des einzelnen Tieres“.
Das ist ein guter Schluss, finde ich. Es ist jenseits von konkreten Zahlen und Grenzen ab denen es Massentierhaltung oder nicht ist, jenseits von Bio-Siegeln, Überzeugungen und Pauschalisierungen. Es ist nicht ein für allemal festgeschrieben, sondern kann in jedem Moment entschieden werden. Find ich gut.
Aber was meine ich damit?
Rationale, optimierte Systeme haben festgeschriebene Vorgehensweisen. Je spezialisierter desto weniger darf von den Vorschriften abweichen. In der Ferkelerzeugung geht es beispielsweise darum, dass die Sauen möglichst alle 150 Tage ferkeln. Plusminus möglichst wenig. In die 150 Tage gehen bummelig 115 Tage Trächtigkeit ein, 21 bis 28 Tage säugen – das heißt, dass die Sau innerhalb von sieben bis 14 Tagen nach dem Absetzen der Ferkel wieder belegt sein sollte. Ansonsten gerät der Rhythmus durcheinander, dem nach die Ferkel am geplanten, zukünftigen „Tag x“ mit so und so viel Tagen und so und so viel Kilogramm an den Mäster verkauft werden. Sauen die nach spätestens 14 Tagen nicht trächtig sind, werden nicht notwendigerweise sofort geschlachtet, aber chronische „Umrauscher“ bleiben nicht lange im Bestand. Vielleicht auch schöner für die Tiere..
Das System in dem die Zuchtsauen leben ist nur eines von vielen optimierten Verfahren, in denen Tiere in jedem Bereich der modernen Landwirtschaft leben. Was nicht passt wird passend gemacht und wo die Natur nicht reicht, wir nachgebessert. Gerne auch hormonell. In der zur Prüfungszulassung obligatorischen Woche „Schweinekurs“ habe ich gelernt, dass eine Geburt, wenn die Sau nach dem 117. Trächtigkeitstag nicht wirft, eingeleitet wird. Auch wenn die Sau vielleicht ein paar Tage später erst aufgenommen hat und eigentlich erst 113 oder 114 Tage trächtig ist. Es geht mehr um die Aufrechterhaltung des Prozesses als um das individuelle Tier. Weil Tierhaltung in dem Maßstab vielleicht nicht anders geht. Es ist mir egal, ich habe meine Gesellenprüfung damals im konventionellen Sauenstall gemacht, habe die Dinge gelernt und es war für mich ein bisschen wie ein Autounfall. Mich hat fasziniert, wie sehr die konventionelle Landwirtschaft die natürlichen Prozesse beherrscht und steuert, gleichzeitig war es aber auch sehr befremdlich. Nicht meins.
Meine praktische Erfahrung war übrigens diese Woche Schweinekurs in einem Versuchsbetrieb bei Oldenburg. Ansonsten Freilandschweine in der eine Trächtigkeit eher eine Frage von beten und hoffen ist, als von Rausche und Umrauschen.
Ich sehe ein System kritisch, wenn es den dort arbeitenden Menschen nicht mehr möglich ist, aus dem Prozess auszuscheren um sich individuell um ein Tier zu kümmern. Ist ein Tier in einer Schweinemastanlage krank und es ist nicht möglich, es aus einer Gruppe herauszuholen und gesund zu pflegen, weil es in keine andere Gruppe integrierbar wäre (weil vielleicht die Gruppengröße so gewählt ist, dass die Tiere gegen Ende der Mastphase genau an der legalen Grenze von Tierbesatz pro m² kratzen), ist das Massentierhaltung. Wenn eine Henne oder ein Ferkel totgeschlagen wird, weil es den Aufwand nicht wert wäre sich individuell drum zu kümmern, ist das Massentierhaltung. Bio oder konventionell, aus voller Überzeugung oder mit Tränen in den Augen.
Was ich damit nicht meine ist, dass Landwirte nicht mehr ihrer Fürsorgepflicht nachkommen dürfen, indem sie kranke Tiere leiden lassen. Ich denke aber, dass jeder Mensch, der in der Landwirtschaft arbeitet, einschätzen kann, ob er/sie ein Tier von einem unheilbaren Zustand erlöst, oder sich selbst von der Arbeit sich drum zu kümmern. „Es lohnt sich nicht“ oder „Es ist keine Zeit dafür“ zählt nicht. Wenn es der Aufwand nicht wert ist, vielleicht eine Krankenbox oder sogar ein neues Zuhause für eine zerpickte oder verletzte Henne oder ein mickriges Ferkel zu finden, ist das eine Tierhaltung mit der ich nicht einverstanden bin.
Davon trennen muss man aber meiner Meinung nach (und da dürfen Menschen gerne anderer Meinung sein), wenn die Möglichkeit (auf eine makabere Art „Freiheit“) besteht, Tiere beispielsweise außer der Reihe zu schlachten und selbst zu verwerten. Ich stamme von einem kleinen Betrieb und auch bei uns gab und gibt es immer wieder Kälber, die nach einer Krankheit nicht wieder richtig kräftig wurden und auf die Beine kamen. Weder etwas für die Zucht, noch für den Viehhändler. Auf unserem Betrieb, wo es zwar Routinen gibt, die jahrein, jahraus die selben sind, aber keine fixen Handlungsvorschriften und Abnahmeverträge mit Daten, Magerfleischanteilen und Abzügen bei nicht-einhalten von Terminen, gibt es die Möglichkeit, Tiere für den Eigenverbrauch großzuziehen. Auf meinem Lehrbetrieb habe ich ein Ferkel geschlachtet, das quickfidel war, seine Hinterbeine aber nicht richtig nutzen konnte. Wir haben es nicht sofort getötet, weil es keinen Grund gab. Es war fit. An irgendeinem Punkt war es dann aber doch so groß, dass es vom Tierschutz-Standpunkt her grenzwertig wurde und wir haben es gegessen. Als vor ein paar Monaten auf dem Betrieb auf dem ich arbeite, einer unserer Junghähne der für die Legehennen-Herde vorgesehen war so klein blieb, dass er untergegangen wäre, ging er in die Röhre. All dies waren Entscheidungen, die für die Tiere den Tod bedeutet haben weil sie nicht ins Raster gepasst haben. Das ist aber für mich noch auf der Seite der Linie auf der „meine“ Landwirtschaft stattfindet, weil die Tiere dadurch nicht Abfall waren, sondern verwertet wurden. Ich kann verstehen, wenn auch das befremdlich klingt. In dem Text geht es aber nicht um die Frage, ob Tiere für unsere Ernährung (warum möchte man Genuss schreiben, wenn Fleisch in den seltensten Fällen wirklich ein Genussmittel ist?) sterben, sondern um meine Definition von Massentierhaltung.
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Was ist mein Schluss daraus?
Ich weiß, dass die Argumentation Löcher hat, aber ich versuche vor allem auch für mich eine Grenze definieren zu können, wo die Argumente der Befürworter eines konventionellen Systems für mich nicht mehr greifen. Ich denke, dass es trotz allem eine ganz gute Grenze ist, wenn sie beim sinnlosen Töten gezogen wird. Man braucht nicht weit schauen, braucht nicht mit den Fingern zu zeigen, es beginnt bei jeder Legehybride die irgendwo im Hobbygarten herumläuft und deren Bruderhahn als nutzlos vergast wurde, zieht sich durch das gesamte System der Eiererzeugung, streift unabhängig von Qualitätsstandarts, Siegeln und Verbänden Schweine, Rinder, Schafe und jeder Tierhalter, ob professionell, hobbymäßig oder zur Selbstversorgung steht regelmäßig neu vor der Entscheidung was mehr wert ist. Die Reibungslosigkeit des Systems, oder das Tier. Ich weiß, dass auch ich mich schon oft genug für das System entschieden habe, bin aber froh, dass meine Freundin mich gebeten hat es mal auf den Punkt zu bringen. Das hat mich sehr ins Nachdenken gebracht und ich weiß, dass es meine zukünftigen Entscheidungen beeinflussen wird.
Repost: die Krux mit den Hühnern 1+2
Ingmar Hofhuhn-Projekt, Philosophie
Ich habe vor acht Jahren schon mal einen Blog begonnen. Damals habe ich über meine Zeit in Schweden berichtet. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland hat der Blog erstmal eine Zeit brach gelegen, in der Ausbildung habe ich aber ab und zu doch noch Texte geschrieben. Zwei dieser Texte möchte ich hier nochmal posten. Sie kommen aus dem Juni 2013, also fast fünf Jahre her und sind der Beginn dessen, womit ich mich hier die nächste Zeit verstärkt wieder beschäftigen werde: dem namensgebenden Hofhuhn-Projekt.
„Die Krux mit den Hühnern“ vom 13. Juni 2013
Es ist ein beliebtes Motiv in den Filmen gegen die Lebensmittelindustrie: ein Arbeiter räumt Hennenställe leer; packt Hennen mit einer Hand an einem Bein, gibt sie in die andere Hand in der schon einige an ihren Füßen hängen und schmeißt sie in Kisten, in denen sie dann zum Schlachthof gefahren werden.
Es ist eine Metapher für vieles für das die moderne Lebensmittelindustrie steht: die Gesichtslosigkeit und Objektisierung der Tiere, das möglichst zeit- und mühensparende Händeln, Gefühlslosigkeit im Umgang mit dem fühlenden Tier und Herzlosigkeit gegenüber der Angst im Ausgeliefertsein.
Setzen wir das Szenario auf eine grüne Wiese, ein Hühnermobil auf einer Kleegrasfläche, blühende Holunder in der Hecke, ein alter Backsteinbauernhof im Osnabrücker Land mit blühenden Rosen, reifenden Kirschbäumen, Wind, Regenschauer – und ein großer Kerl, der Hennen aus den Nestern sammelt und sie in einen kleineren mobilen Hühnerstall setzt.
Das wäre dann wohl ich, Samstagmorgens.
Der einzige Unterschied ist, dass ich mir die Hennen die noch legen heraussortiere, um ihnen (denen die die 12 Monate Legestress noch nicht zu sehr an die Substanz gegangen ist) noch ein paar Monate extra zu geben.
Wo ich den letzten Satz schreibe und mir überlege was ich als letztes Wort setze; „geben“, „schenken“, „gewähren“, „lassen“(???) fällt mir auf, wie sehr es genau das Vokabular ist, das vor allem „die Veganer“ in ihren Schriften gegen Tierhaltung anprangern.
Ein, wenn man so will, gottgleich-anmaßendes Vokabular. Da gibt es keine Euphemismen.
Und auch die Gesichtslosigkeit ist gegeben.
Ich nehme die Hennen die auf den Nestern sitzen. Das wars.
Es sind nicht unbedingt diejenigen, die noch die meisten Eier auf zehn Tage oder zwei, drei Wochen gesehen legen, sind nicht unbedingt diejenigen, die die nächsten Monate von der Konstitution her am besten überstünden, oder gar diejenigen die von ihrem Charakter her für die Herdenstruktur essenziell sind – einfach diejenigen, die von ihrem Rhythmus her dran waren am Samstag dem 29. Juni zwischen 5.30 und etwa 10.15 ihre Eier zu legen.
Die einzigen Ausnahmen werden die Hennen sein, die als Pflegefälle aus der Herde genommen wurden und frei auf dem Hof herumlaufen, die beiden Hähne und eine Henne, die der Kindergarten mal humpelnd gefunden, gesund gepflegt, lieb gewonnen und mit einem Bändchen markiert hat.
Sie werde ich mir noch schnappen.
Ansonsten die 90, die ich in den knapp viereinhalb, fünf Stunden in den kleinen Mobilstall sortiert habe.
So selbstkritisch das jetzt klingt, ich finde die Geste, die Hennen nicht einfach allesamt wegzuschlachten, sondern den Versuch zu unternehmen die robusten, die mit der absurd hohen Eierzahl der Hybridhennen über die Legeperiode am besten klarkamen noch ein paar Monate länger zu halten, einen Schritt in die richtige Richtung.
Im Rahmen des Sortierens ist aber ein alter Gedanke wieder gekommen, ein Gedanke, den ich eigentlich schon wieder als zu komplex und umfangreich verworfen hatte: ich hatte mir mal vor ein paar Wochen überlegt als Jahresarbeit im 4. Lehrjahr (Teil der Freien Ausbildung) eine Gegenüberstellung der klassischen Legehennenhaltung, die sich vom Zukauf der 20-wöchigen Hybridhennen, über eine knapp einjährige Legeperiode bis zum Aussortieren und Ersetzen der Hennen erstreckt, mit der Haltung einer Zwiehuhnrasse inklusive Brut, Aufzucht der Legehennen und Bruderhähnchen, der Schlachtung der Hähnchen, der Legeperiode der Hennen, bis zum Abgang, den man bei den etwas schwereren Hennen auch positiver sehen könnte, weil sie im Gegensatz zu den Hybriden nicht nur aus besserem Leder und Knochen bestünden.
Solche Projekte gibt es natürlich schon, einmal das Kollbecksmoorhuhn und zum anderen die Initative „ei care“.
Zusätzlich gibt es noch Versuche an verschiedenen Stellen; Höfen, konventionellen Zuchtfirmen und Fachhochschulen, wo auf verschiedene Arten das Bruderhähnchendilemma anzugehen versucht wird, Zuchtversuche mit Sulmtalern, Australorps, Italienern, Zwiehuhnhybriden und so weiter.
Aber die Situation der CSA, wo Menschen sagen, dass sie die Hofprojekte unterstützen, weil sie gut finden was gemacht wird und weil sie den Landwirten ermöglichen wollen andere, weniger von den Tagespreisen abhängige, Wege zu gehen, ist eine Möglichkeit Menschen zu sensibilisieren – vor allem weil es Projekte wie „ei care“, die ja versuchen müssen sich im freien Markt zu etablieren anscheinend ein bisschen stockend laufen.
Ich hätte hier die Möglichkeit im vierten Lehrjahr einen solchen Paralleldurchlauf zu machen und dokumentieren, ohne in dem Dilemma zu stecken mich damit wirtschaftlich behaupten zu müssen.
Auch in dem Wissen, den Initatoren von ei care und so weiter in den Hintergründen nicht das Wasser reichen zu können, wäre eine solche Jahresarbeit eine Sache die mich interessieren würde, und wenn es nur herausbringt, dass ich irgendwann nebenbei noch ein paar Hühner halten könnte, die Hähnchen mästen und die Hennen legen lassen, ohne einen finanziellen Verlust einzufahren – oder auch das Gegenteil.
Und, so komisch es für viele klingen mag, da dann das Hennensortieren mir ein nicht ganz so schlechtes Gefühl geben würde, weil ich sie vom ersten Tag her kennen würde, wüsste dass sie mich kennen und wüsste, dass sie Teil des Hofkreislaufes wären – wie „wir“ in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft uns das eigentlich wünschen.
Und dass sie nicht nur fürs Legen leben, sondern auch um sich ein bisschen wohl zu fühlen – wobei ich sagen muss, dass mich die Hybriden die ich zuhause hatte, oft beeindruckt haben, weil sie schon einiges mehr an Power hatten als Hennen klassischer Rassen die da mit auf dem Hof herumgelaufen sind.
Aber das waren auch drei-, vier-, fünf-, sechs- und siebenjährige Hennen, die ihren Peak an Legeleistung hinter sich gelassen hatten (aber trotzdem noch mehr Eier legten als Italiener-, Ramelsloher-, Maran- oder Araucanahennen (von den Brahmas mal ganz zu schweigen)).
Die Krux mit den Hühnern 2 (vom 28.6.2013)
Meine Zweifel an dem klassischen Legehennensystem habe ich ja schon in „Die Krux mit den Hühnern“ vor ein paar Wochen beschrieben.
Mama und Papa Hofhuhn im Video
Im Vorfeld der Grünen Woche, auf der ja auch meine Freundin und ich an der Seite meiner Mutter ein paar Produkte unseres Hofes präsentieren durften, entstand ein Video über den Hof meiner Eltern.
Viel Spaß dabei!
https://www.youtube.com/watch?v=QOYX0-BpLpk&feature=youtu.be
Hofhuhn on Tour: Hofladen Maurer, Güdingen
Die letzten Jahre bin ich schon etwas herumgekommen und habe an verschiedenen Orten verschiedene Menschen kennengelernt. So unterschiedlich die Leute dann doch immer waren und so wenig die Klischees im Einzelfall stimmten, hab ich doch immer einen recht starken Eindruck gehabt, was für unterschiedliche Schläge Menschen die unterschiedlichen Gegenden hervorgebracht haben.
So fand ich, dass die Niedersachsen einfach Swag haben, cool sind. Zumindest die, die ich aus dem westlichen Niedersachsen kennen gelernt habe; Osnabrücker Land, Oldenburg, Emsland. Die Norddeutschen haben ein großes Selbstbewusstsein und wissen genau was ihnen zusteht. Die Schweden waren tendenziell freundlich aber auch oft ein bisschen oberflächlich und die Hunsrücker und Saarländer, mit denen ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, haben etwas ungemein pragmatisches. Sie haben oft nicht viel, aber es geht ihnen damit trotzdem genau so gut wie allen anderen.
Hat man es aber bis zu dem kleinen Lädchen geschafft, lösen sich die meisten der zugegebenermaßen etwas zwiespältigen Eindrücke des Weges dorthin in Wohlgefallen auf. Der Stadtteil lebt hinter den tristen Fassaden. Wir sind eine halbe Stunde vor Ladenschluss um 13 Uhr aufgeschlagen, um uns mit Claudia Maurer zu unterhalten, bevor wir noch einen Abstecher zu den Hühnern machen wollten. Der kleine Laden war sehr bunt bestückt. Sie erzählte, wie sich die ursprüngliche Idee von regional und saisonal, eigentlich auch ganz gerne Bio, immer weiter in Richtung eines Tante-Emma-Hofladens entwickelte. Schwungrad der letzen Jahre waren die Hühner. Meinen kritischen Punkten über die Mobilställe, denen der Besuch ja zu verdanken war, habe ich einschränkend vorangestellt, in welchen Fällen eine mobile Hühnerhaltung super passt:
Wenn zum Beispiel kein vernünftiges Stallgebäude mit Auslaufanbindung verfügbar ist, nicht gebaut werden darf, die Tiere gar nicht direkt am Hof stehen sollen, oder auch nur eine schnelle, einfache und überschaubare Lösung für eine Herde Legehennen gefunden werden soll, ist das Hühnermobil die perfekte Lösung.
Gegenüber des Ladens, der auch ein Friseur, ein Metzger oder ein Radio-TV-Hifi-Händler hätte sein können, steht ein Eierautomat. So ähnlich wie ein Getränkeautomat am Bahnhof, nur ohne runterfallen der Waren und halt für Eier. Im Laden stehen links in der Ecke Eierhorden aus Plastik, in die sich die Kunden selbst ihre Eier in 10er oder 6er-Kartons packen können. Der Rest des Ladens ist eine Mischung aus Geschenkelädchen mit Fleischtheke, einer kleinen Bibliothek, Nudelmanufaktur und Gemüsehändler. Vielseitig aber nicht wahllos. In Bio finden sich nur Zitronen, dafür aber ein paar einfache Fertiggerichte, ein bisschen Wein, ein paar günstige Säfte, Süßigkeiten, Sauerkonserven und Likör. Tante Emma trifft seine Kunden 2018 – und auch wir sind ein paar von ihnen begegnet.
Vielleicht unterschätzt man Güdingen aber auch. Vor allem unterschätzt man aber auch leicht Claudia Maurer. In dem ganzen Gespräch über die Herausforderungen, die es mit sich bringt, den ganz eigenen Hofladen zu etablieren, ist die Landwirtschaft im Gespräch ganz in den Hintergrund gerückt. Nebenbei bewirtschaftet sie mit ihrem Mann nämlich noch einen 60-Hektar-Betrieb. Nicht, wie man jetzt vielleicht denkt, „an der Seite ihres Mannes“, zuarbeitenderweise, sondern als Schwungrad, Hand und Hirn des Betriebes. Die Hühner, die wir nach einem kleinen Einkauf nach Ladenschluss besucht haben, stehen nicht am Hof, sondern ein paar hundert Meter den Berg hoch. Dort oben, zwischen Reihen von Streuobstbäumen liegen handtuchgroße Flecken von Acker- und Grünland und man sieht mehr und mehr von dem, was Gündingen auf den ersten Blick nicht hat zeigen wollen: es ist wirklich hübsch hier. Es ist das Gassigeh-Gebiet der suburbanen Saarbrücker Schickeria, die an den Hängen über der Saar ihre Häuser hat und ihren Hunden den Auslauf dort gewährt, wo die Flurbereinigung nie einen Fuß hingesetzt hat. Manchmal sind es keine 15 Meter Acker von Baumreihe zu Baumreihe. Das Wintergetreide auf dem Streifen ist aber gesät und hinter der nächsten Reihe Apfelbäume stehen die zwei Weiland-Mobile. Das Bild kennt inzwischen fast jeder und auch hier sind es die etwas ruhigeren und widerstandsfähigeren braunen Lohmann-Hybriden, die dankbar sind, dass ihnen zwei Rundballen Stroh in den durchgeweichten Auslauf gestellt wurden. Die Gassigeher mussten sich vor ein paar Jahren erstmal wieder daran gewöhnen, dass in ihrem Naherholungsgebiet wieder tagtäglich Landwirtschaft mit Traktor und Elektrozäunen stattfindet, sie haben wohl aber Gefallen daran gefunden. Jedenfalls wurden wir freundlich gegrüßt, als wir im schneidenden Wind und beginnenden Schneefall bei den Hühnern standen.
Charakterköpfe die Zweite: „Und weiter?“
Ingmar Diskussion, Philosophie
Kühe und Hörner gehören zusammen. Zumindest wenn man sich eine Kuh vorstellt. Die Realität sieht – leider, wie ich finde – etwas anders aus. Auch wenn nach wie vor noch den meisten Tieren von Natur aus Hörner wachsen würden, wachsen ihnen keine. In jungem Alter werden die Hornansätze, die sich in der Kopfhaut an der Seite der Stirn der Kälber befinden, verödet und entwickeln sich nicht weiter.
Als mir mein Vater vor ein paar Wochen erzählte, dass er sich schon länger die Frage stellt, ob sich die Hörner und der Charakter der Tiere gegenseitig beeinflussen, oder zusammenhängen, fand ich die Frage auch sehr interessant. Ich kann mir gut vorstellen, dass das etwas miteinander zu tun hat. Nicht auf einer esoterischen, sondern auf einer physischen Ebene. Meiner Erfahrung nach hängen die Form der Hörner und der restliche Körperbau sehr stark miteinander zusammen. Schwere, breite Tiere haben oft entsprechende Hörner. Tiere mit einem, wie wir Bauern sagen, „trockenen“ Körperbau, haben oft auch etwas „konzentriertere“, schmale und tendenziell eher längere Hörner. Der Körperbau bedingt während des Aufwachsens oft den Rang in der Gruppe, nicht nur allerdings, denn auch bei den Rindern kommen gewitzte Tiere oft zu ihrem Willen.
Wie aber herausfinden was für einen Charakter die Tiere haben, wer mit Witz zum Ziel kommt, wer mit Gewalt und wer überhaupt nicht. Oder wer aber vielleicht auch gar kein Ziel verfolgt? Da kommt die tägliche Arbeit ins Spiel. Während der Laie die Tiere vielleicht auf den ersten Blick nicht auseinanderhalten kann, ist das für den Bauern, der täglich mit ihnen zusammenarbeitet kein Problem. Wie ein Lehrer jedes Kind in seiner Klasse beim Namen kennt, die Eltern kennt und auf Anhieb ein paar Sätze über den Charakter und die Rolle in der Gruppe sagen könnte, kann das auch ein Bauer mit seiner Herde. Besonders intensiv ist das natürlich bei kleineren Milchkuhherden, die man zwei Mal täglich melkt und um die sich im Grunde die Tägliche Arbeit dreht.
Seltsame Überschrift, oder?
Der Gedanke dahinter kommt auch von meinem Vater. Als ich im Sommer auf Instagram von dem „Charakterköpfe“-Projekt erzählt habe, waren sehr viele Menschen sehr begeistert von der Idee und der sensiblen wie sprachgewandten Art, mit der es mein Vater vermocht hat, die Kühe mit ein paar Worten zu charakterisieren. Er konnte nachvollziehen, dass es für viele Menschen nicht vorstellbar ist, Tiere so genau zu kennen, wollte aber auch, dass ich es nicht so stehen lasse, als ob er selbst das für besonders hält. Er sagte dazu, dass vermutlich die meisten Bauern in der Lage wären, Tiere ihrer Herden mit ein paar Worten zu charakterisieren. Vielleicht hätten nicht alle die richtigen Worte dafür, nicht auf Anhieb, aber mit ein bisschen Bedenkzeit würde jeder Bauer das hinbekommen.
Hier gehts zum ersten Teil: KLIIIIICK
Auch dieses Mal wieder die Frage die gerne auf Facebook oder Instagram diskutiert werden darf: spiegelt sich der Charakter der Tiere in den Hörnern wider?
Genug der Worte, Kühe:
Gedanken eines Landwirtes zum Milchkauf
Ingmar Diskussion, Favoriten, Produktion
Schon mal wie der Ochs‘ vorm Berg am Milchregal im Supermarkt gestanden? Ich auch. Ich wurde gebeten, eine Art „Milchkauf-Hilfe“ zu schreiben und habe mir die letzten Tage dazu Gedanken gemacht. Meine Schwierigkeit ist, dass ich nicht sagen möchte „hier, kauf diese Milch“, sondern eine kleine Hilfe zur Selbsthilfe bieten möchte. Das ist also der Hintergrund, warum ich nicht einfach eine klare Empfehlung geben werde. Ich bin born&raised Demeter und auf einem Betrieb aufgewachsen der Schnittkäse herstellt. Was das für meinen Anspruch an Milch bedeutet könnt ihr nachlesen.
Was war Milch nochmal?
Ein wichtiger Punkt den man sich klar machen sollte ist, dass Milch nicht dafür gemacht ist „Milch“ zu sein. In der Natur ist sie ein mordsfragiles Energieqäuivalent, wie ATP in der Zelle. Sie entsteht im Euter, wird vom Jungtier aufgenommen und verdaut. Zackfeddich. Alles, was der Supermarktmilch so zwischen Kuh und Kühlregal angetan wird, geschieht im Versuch, die Milch daran zu hindern ihrer natürlichen Vorbestimmung zu folgen und sich in einer optimal verdaulichen Form anzubieten. Stellt man frisch gemolkene Milch bei sommerlicher Raumtemperatur hin, ist sie innerhalb weniger Stunden Dickmilch. Das möchten wir natürlich nicht. Deswegen kühlen wir die Milch, pasteurisieren sie, homogenisieren sie, erhitzen sie ultrahoch, nehmen sie auseinander und setzen sie wieder zusammen.
Eine weitere Frage ist, wofür man die Milch nutzen möchte und was man von ihr will. Möchte man die volle Qualität der vielen Vitamine und Mineralstoffe nutzen, die die Milch in ernährungsphysiologisch bestverdaulichster Form darstellt, dann sollte man wohl ein Glas kuhwarmer Rohmilch trinken. Auf eigene Gefahr natürlich. In den Siebzigern wurde beschlossen, dass es zu kostenaufwändig ist eine lückenlose Kontrolle von Rohmilch zu gewährleisten und deswegen empfohlen, Milch vor dem Verzehr abzukochen. Wenn man Milch im Kaffee oder einer Mehlschwitze nutzt, dann ist sie so weit erhitzt, dass es gar keinen Sinn macht, irgendwo mit viel Aufwand Rohmilch zu besorgen.
Pasteurisiert, homogenisiert, auseinandergenommen
Das Pasteurisieren geschieht, um die Milch von bösen Keimen zu befreien, die Unannehmlichkeiten wie Lebensmittelvergiftungen, Tuberkulose oder Hirnhautentzündungen hervorrufen können. Das macht vor allem Sinn, wenn Menschen mit einem schwachen Immunsystem Milch trinken. Kinder und alte Leute. Ich selbst habe als Sohn eines Landwirtes und einer Käserin – mit Ausnahme der frühesten Kindheit – immer Rohmilch getrunken und nie Probleme gehabt. Den Verzehr von Rohmilch würde ich trotzdem nicht uneingeschränkt empfehlen, weil man nicht weiß woher die Milch genau kommt, wie sie gemolken wurde und was mit ihr passiert ist. Das ist wie bei Wasser beim Campen: lieber auf Nummer sicher gehen und abkochen. Beim Pasteurisieren wird die Milch für eine halbe Minute auf etwa 75°C erhitzt, was die meisten Keime abtötet. Nicht alle allerdings, und für die ist die pasteurisierte Milch natürlich eine reine Fläche, um sich auszubreiten. Bei Rohmilch würden die natürlichen Milchsäurebakterien für eine gewisse Gegenwehr sorgen, bei pasteurisierter Milch ist das einzige Mittel eine konsequente Kühlkette. Ernährungsphysiologisch sind die Unterschiede zwischen Rohmilch und pasteurisierter Milch marginal.
Nachdem wir den Prozess des Pasteurisierens in aller Kürze behandelt haben, wenden wir uns der Homogenisierung zu. Wozu dient diese? Sie dient dazu, die Milch am Milch-sein, und das Milchfett am Auftreiben zu hindern. Hat man eine unhomogenisierte Milch, trennt sie sich in fettere und magerere Milch und im „schlimmsten Fall“ setzt sich ganz oben fester, buttriger Rahm ab. Das ist ganz natürlich, wird von vielen Menschen aber als abstoßend empfunden und sorgt im Kaffee für schwimmende Fettaugen. Beginnt man also eine Flasche oder Packung Milch, hat man erst die obere, fettere Milch und später die untere, magerere. Eigentlich reicht es, die Milch für ein paar Sekunden sanft hin und her zu drehen um einen homogenen Milchgenuss zu erleben (nicht wie Apfelsaft schütteln, sondern wirklich sanft drehen. Ansonsten macht man den Rahm zu Butter). Beim Homogenisieren (=“gleich-machen“) wird die Milch durch ganz feine Siebe gepresst und die Fettkügelchen dadurch so zerschlagen, dass sie nicht mehr leichter sind als der magere Anteil der Milch und entsprechend nicht mehr aufschwimmen. In unseren Bäuchlein wird das Fett einer Interpretation nach aber dann nicht mehr als Fett erkannt und vom Darm hereingebeten. Beim Erhitzen tun sich diese kleinen Fettkügelchen wohl mit den Kasein-Molekülen zusammen, die dann entsprechend ebenfalls mit hereingebeten werden. Kasein ist das häufigste Problem bei Milchallergie. Das Homogenisieren dient also vor allem der Kosmetik des Produktes Milch, zerstört es aber ziemlich in seiner natürlichen Struktur und Dynamik und ändert die Verdaulichkeit der unterschiedlichen Bestandteile. Ich bin kein Ökotrophologe und kann das nicht beurteilen, ich habe mich nicht stundenlang mit wissenschaftlichen Texten zu dem Thema auseinandergesetzt oder hätte die Kompetenz diese bis in die Tiefe zu interpretieren. Meinem Empfinden nach verdient eine homogenisierte Milch nicht mehr die Bezeichnung Milch. Warum? Kleiner Exkurs:
Käsen mit homogenisierter Milch: ein Paradoxon
Meine Mutter ist eine erfahrene Käserin und leitet deutschlandweit Kurse, in denen Profis und Anfänger die Herstellung von Milchprodukten lernen. In einem Kurs, in dem es darum geht, in jeder Küche einfache Frischkäse herzustellen, gibt es auch Käse mit Ziegenmilch. In einem Kurs, den wir in Kiel veranstaltet haben, gab es in der ganzen Stadt keine Ziegenmilch, die nicht homogenisiert war. Wir kauften also die Milch die es gab, Ziegen-H-Milch und versuchten unser Glück. Normalerweise braucht es bei Milch, die auf die richtige Temperatur erwärmt wird nur ein paar Milliliter einer sauren Flüssigkeit um sie unmittelbar gerinnen zu lassen, bei der homogenisierten Milch gossen wir mehr und mehr hinzu, bis sie schließlich ganz zäh begann „auszuflocken“, wie man es nennt, wenn sich feste Bestandteile aus der Milch heraus bilden. Wenn ich ein Glas Milch trinke, dann schlucke ich sie in das saure Milieu meines Magens und dort wird sie ziemlich schnell nicht mehr weiß und flüssig sein. Dasselbe passiert im Labmagen von Kälbern. Das Dicklegen dient der Verdaulichkeit. Wenn das fast unmöglich herbeizuführen ist, wird die Milch sicher auch irgendwie verdaut, aber nicht so, wie es von der Natur her vorgesehen ist. Nicht besonders wissenschaftlich, aber hoffentlich verständlich was ich meine. Der Käse wurde am Ende trotzdem was. Vielleicht bin ich ja auch ein bisschen paranoid.
ESL-Milch. Milch, wie wir sie meistens zu kaufen bekommen, hat einiges hinter sich. Was ich bis vor kurzem überhaupt nicht auf dem Schirm hatte ist, dass die Milch beim Eintreffen in die Molkerei oft gleich in Milchfett und Magermilch zerlegt wird. Nach Reinigung und Pasteurisierung wird die Milch dann wieder „eingestellt“. Das heißt, ihr wird wieder so viel Rahm hinzugefügt, dass die später auf der Verpackung nachzulesende Fettstufe erreicht wird. Magermilch, fettarme, „teilentrahmte“ Milch oder Vollmilch. Ca. 0,3%, 1,5-1,8% oder 3,5%. Wie auch bei der Homogenisierung weiß ich nicht genau, was ich davon halten soll. ESL-Milch gilt anscheinend als Stufe zwischen nicht-homogenisiert und homogenisiert, weil sie aufrahmt, aber nicht „naturbelassen“ ist. Ich finde es aber auch einen Schritt zu viel. Ich möchte Milch konsumieren, die von Kühen gemolken wurde, meinetwegen mit der anderer Kühe vermischt, pasteurisiert und gekühlt. Das ist das, was ich mit Milch verbinde. Nicht das Trennen und wieder-Vermischen. Der Vorteil der ESL-Milch ist, dass sie durch das höhere Erhitzen einzelner Bestandteile im Vergleich zur Pasteurisierung der Milch im Ganzen doppelt so lange haltbar ist.
Die Haltbarkeit ist bei Lebensmitteln immer ein großer Faktor bei der Preisgestaltung. Teil dessen, was man zahlt, ist Kompensation für die Ware deren MhD abläuft und entsorgt werden muss. Je kürzer die Haltbarkeit, desto höher die Wahrscheinlichkeit des Ablaufens, desto höher der Anteil dieser Kompensation am Preis.
Wie man ESL-Milch erkennt und gegebenenfalls vermeidet? Schwierig. Eine Kennzeichnung ist für den Hersteller freiwillig, nicht-ESL-Milch darf als „traditionell hergestellt“ bezeichnet werden, ESL-Milch als „länger haltbar“. Muss es aber nicht. Muss man ESL denn vermeiden? Weiß ich nicht. Die Inhaltsstoffe sind fast identisch zu Rohmilch oder „traditionell hergestellter“ Milch. Ob sie immer noch so für die Verdaulichkeit optimiert sind, ist die Frage. Wenn das der Grund ist, weswegen man Milch trinkt, um „das mitzunehmen, was die Mutter dem Kind mitgeben möchte“, dann möchte man ja möglichst die Milch die aus dem Euter kommt. Wenn es nur technisch um die Nährstoffe geht, könnte man sich ja auch aus Öl, einem Eiweißpulver und ein paar Vitaminen und Mineralien etwas zusammenmischen wie es ja Sportler oft tun.
Ultrahocherhitzt: dabei wird die Milch – so wie ich es verstanden habe – nach dem Abfüllen in der Packung unter Überdruck auf mindestens 135°C erhitzt, so dass es nach dem Erhitzen keinen Keimeintrag mehr gibt. Es sie ist im Grunde eingekocht, nicht wie eine Soße, sondern wie Gurken oder Marmelade, schmeckt deswegen auch bisschen süßlich.
Viel heiße Milch – doch erst die halbe Antwort
So viel Text, noch bevor wir an den Punkt kommen, der viele Leute eigentlich am meisten interessiert: was ist „gute Milch?“ Auch da wieder: was wünscht man sich von seiner Milch? Was ich versprechen kann ist, dass nichts garantiert ist, was nicht verbindlich drauf steht. Wenn nicht drauf steht, dass die Kühe mindestens soundsoviel Tage im Jahr auf der Weide stehen, dann tun sie es mit höchster Wahrscheinlichkeit auch nicht. Einzelne Tiere vielleicht, aber wenn es die meisten wären, stünde es drauf. Ganz einfach.
Was ist der Unterschied zwischen Markenmilch und beispielsweise „Ja“-Milch, oder „Gut und günstig“? Es ist die Verpackung. Die Milch wird nicht von den Supermarktketten oder Discountern selbst abgefüllt, sondern von den Molkereien die auch die Markenprodukte abfüllen. Der Preis kommt zustande, weil die Supermärkte eine garantierte Menge von meinetwegen 150.000 Packungen abnehmen und das Risiko übernehmen, dass die Milch vielleicht nicht verkauft wird. Dadurch wird sie für Supermarkt und Verbraucher günstiger. Milch wird deutschlandweit herumgefahren und europaweit gehandelt. Wenn also auf einer Packung steht, dass die Milch „mit“ Milch aus den deutschen Hochalpen ist, dann ist sie das mit Sicherheit auch. Zumindest zu einem halben Prozent oder so – aber wahrscheinlich nicht viel mehr. Wie gesagt, es ist nichts garantiert und bei vagen Formulierungen sollte man immer kritisch sein. Das gleiche bei Mozzarella „mit“ Büffelmilch oder Käse „mit“ Ziegenmilch. Ihr versteht was ich meine. Wenn jemand sagt „ich dachte aber“ oder „das sah doch so aus, als ob“ dann gilt das nicht. Alles was garantiert ist, „gut“ und ein Kaufargument, steht mit Sicherheit auf der Verpackung drauf. Was nicht drauf steht ist mit Sicherheit auch nicht drin.
Aber was ist „gute Milch“? Ist sie verträglich? Oder tierethisch richtig? Oder bekommt der Bauer was er verdient? Für mich sollte möglichst viel davon zusammenkommen. Bevor ich im einzelnen darauf eingehe, was ich mir für die Tiere wünsche, greife ich einmal voraus und sage welche Milch ich im Supermarkt kaufen würde. Es ist die Milch, die der Bauer selbst ins Regal stellt und da sind mir auch Biosiegel erstmal egal. Auf der Halbinsel Angeln, südlich von Flensburg, gibt es beispielsweise einen konventionellen Landwirt der das macht; Jensen-Niesgrau, auf Sylt, wo meine Freundin her kommt, gibt es die Sylter Milch. Für mich garantiert das, dass es nicht eine unendliche Anzahl von Milchen ist (ja, das ist der Plural), die zusammengemischt werden, sondern eine endliche. Beispielsweise vielleicht die von 50 Kühen oder so. Nicht zehntausenden. Auch das fühlt sich für mich „richtiger“ an. Die Bloggerin Astrid Paul („Arthurs Tochter kocht“) hat mir sogar von einem Projekt erzählt, in dem sich Leute vorgenommen haben die Milch einer einzelnen Kuh gezielt Allergikern zu kredenzen. Macht auch irgendwie Sinn: auch wenn man davon ausgehen würde, dass die meisten gemolkenen Kühe kerngesund sind, steigert sich bei jeder weiteren Kuh die der Mischung hinzugefügt wird das Risiko, dass doch irgendwie die Hinterlassenschaften einer sich anbahnenden oder gerade ausgestandenen Krankheit in die Milch kommen (wobei auch klar gesagt sein soll, dass die Eingangskontrolle der Milch sehr scharf ist und die Kontrolle auf Rückstände von beispielsweise Hemmstoffen in der Milch rigoros). Nach Bauern die selbst abfüllen oder Milchtankstellen beliefern, sind es Bauernmolkereien wie zum Beispiel in weiten Teilen Schleswig-Holsteins „de Öko Melkburen“ oder die „Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof„. Wenn meine Eltern es nicht schaffen ihre ganze Milch zu verkäsen, wird sie von der „Bliesgaumolkerei“ abgeholt, deren am weitesten entferntester Lieferant wir sind – mit 70 Straßenkilometern.
Alles was größer ist, zahlt unter Umständen nicht weniger an die Landwirte, aber da wird die Milch dann komplett gesichtslos. In dem Text geht es um meine Gedanken zur Milch und ich möchte das nicht. Auch das sollte gesagt sein: kleinere Molkereien zahlen nicht notwendigerweise mehr an ihre Bauern als große.
Eigentlich kommt die Milch doch von Kühen?
Nun zu den Tieren: die Milch welcher Tiere möchte man zu sich nehmen? Wie sollen sie gehalten werden, wie gefüttert? Da kommen jetzt erstmals die Biosiegel ins Spiel. Für mich zumindest. Das andauernde Tief des Milchpreises der letzten Jahre hat viele Landwirte dazu gebracht, eines der letzten Tabus einzureißen. Viele haben aufgehört ihre Tiere auf die Weide zu lassen. Wirtschaftlich macht es durchaus Sinn, weil die Energiedichte des Grases auf der Weide lange nicht so hoch ist wie die von Silage und Kraftfutter im Stall. Weidegang ist also ein Luxus den Landwirten ihren Tieren gönnen wenn sie es sich leisten können. Lange selbstverständlich, inzwischen aber tragischerweise ein Qualitätskriterium, das auf Milchpackungen hervorgehoben wird. „Weidemilch“ bedeutet, dass die Tiere an mindestens 120 Tagen im Jahr mindestens sechs Stunden auf die Weide kommen. Die Zeit ist realistisch für einen „Tag auf der Weide“. Viel mehr als sieben Stunden ist nicht möglich, wenn die Tiere nach dem morgendlichen Melken raus kommen und vor dem abendlichen Melken wieder rein. Nachts geht natürlich mehr und das ist vor allem in heißen Sommern die beste Alternative. Woran ich mich persönlich stoße, sind die 120 Tage Weidegang. Das sind vier Monate, also – wenn täglich – von Anfang Mai bis Ende August. Unsere Kühe zuhause sind normalerweise von Mitte April bis Ende Oktober, oft auch bis Ende November draußen. In extrem trockenen Sommern wie dieses Jahr, mit einer zweiwöchigen Pause Ende Juni, weil einfach nichts mehr gewachsen ist und wir sogar unser noch im Wachstum befindliches Getreide als Grünfutter füttern mussten.
Und wie ist das mit der Heumilch?
Menschen kritisieren Silage. Warum? In Österreich gibt es eine mega-Kampagne des Siegels „Heumilch“. Was ist böse an Silage? Sie ist gut zu ernten, sehr lagerfähig, kann aus verschiedensten Ausgangsstoffen hergestellt werden und ist zudem hochverdaulich. Was ist also schlecht daran? Es ist die hohe Verdaulichkeit. Kühe sind sogenannte Rauhfutterverwerter. Angeblich gab es in Finnland mal eine Studie, in der die Forscher Kühen Papier gefüttert haben und die haben daraus Milch mit normalen Inhaltsstoffen generieren können. In der Natur würden die Tiere nur im Frühling frisches, junges Gras fressen und den Rest des Jahres die älter werdenden Teile, im Winter sogar verblühtes, vertrocknetes, sogenanntes „überständiges“ Gras. Das hat natürlich nicht so viel Energie wie Silage, die aus Gras gewonnen wird, das mehrfach im Jahr in einem jungen Wachstumsstadium geschnitten und eingefahren wird. Durch Fermentation wird die Verdaulichkeit erhöht, was dazu führt, dass die Tiere seit der Intensivierung der Landwirtschaft in den letzten 150 Jahren die Milchleistung verzehnfacht haben. Ein wichtiger und hochenergetischer Grundstoff für Silage ist auch Mais. Die intensive Fütterung führt in meinen Augen zu zwei Problemen. Zum einen ist die Verdauung der Tiere nicht auf die hochenergetische Fütterung ausgerichtet und zum anderen nimmt die Milchqualität ab, zumindest wenn man vom Standpunkt des Käsens ausgeht.
Beim Käsen mit Silomilch kommen Bakterien zum Zuge, die im feuchten Milieu der Silage gute Bedingungen vorfinden sich zu vermehren und sich bis in die Milch halten. Eigentlich stören sie dort nicht weiter, außer wenn man Käse herstellt der über eine gewisse Zeit reifen muss. Dann sorgen sie dafür, dass der Käse „hoch geht“, also bläht und nicht als Schnittkäse verkauft werden kann. In der konventionellen Käseherstellung kann der Milch Lysozym hinzugegeben werden, oder diese Bakterien im ESL-Verfahren durch Mikrofiltration herausgefiltert werden, in der ökologischen Käseherstellung ist bei Schnittkäseherstellung eine silagefreie Milch allerdings fast obligatorisch. Meine Eltern beispielsweise füttern seit Jahren keine Silage mehr an unsere Kühe und ich kenne viele Höfe, bei denen das auch das Ziel oder sogar schon seit Jahrzehnten der Standart ist.
Das ist auch wieder meine persönliche Meinung, aber ich habe einfach ein besseres Gefühl wenn ich auf dem Futtertisch der Tiere Heu aufschüttele, als wenn ich Silage ranschaufle oder -schiebe – auch wenn wir auf meinem aktuellen Betrieb die Mutterkühe mit Silage füttern. Wenn ich ehrlich bin, wüsste ich auch nicht, wie man in diesem Sommer hier in Norddeutschland hätte Heu machen sollen. Außerdem ist Silage nicht gleich Silage und Heuwerbung eine echte Kunst, wenn man eine wirklich gute Qualität haben möchte. Manche Menschen sagen, dass sie aus frischer Milch Silo herausschmecken, manche sagen, dass dieser Geschmack nach dem Kühlen weg ist. Ich weiß es nicht und habe nie etwas herausgeschmeckt. Ich habe aber auch noch nie einen Direktvergleich gemacht. Silofütterung wäre für mich kein Auschlusskriterium für Trinkmilch. Für einige Menschen ist es das aber.
Wonach die Kunden fragen: Kälber und Hörner
Erstmal zu den Hörnern. Laut EG-Bio ist das Enthornen im Ausnahmefall gestattet. So wie das Kupieren der Schwänze bei Schweinen in der konventionellen Landwirtschaft. Bei Bauern ist aber oft dauerhaft Ausnahmezustand und wenn man sicher die Milch behornter Kühe trinken möchte, dann muss man Demeter-Milch kaufen. Nur dort sind Hörner Pflicht. Die Hörner werden Gründen der Verletzungsprävention routinemäßig entfernt, eine Alternative wären geräumigere Ställe, aber die kosten Geld. Ich bin allein aus dem Grund, dass die Tiere dann mehr Platz haben für Hörner, kann aber aus Erfahrung sagen, dass das Entfernen der Hörner im jungen Alter kein traumatischer Eingriff fürs Tier ist. Behornte Tiere gehen anders miteinander um als unbehornte. Die Milch von behornten Tieren gilt als besser bekömmlich. Ich habe mehrfach erlebt, dass Menschen, die sich selbst als Laktoseintolerant oder zumindest empfindlich beschreiben würden, die Produkte meiner Eltern genießen konnten. Das kann aber halt auch damit korrelieren, dass sie nicht homogenisiert oder mikrofiltriert sind. Forschungsergebnisse gibt es dazu wohl auch, aber die werde ich jetzt nicht ergoogeln – wie gesagt, wir sind schon bei fast 3000 Zeichen. Zu Hörnern gibt es übrigens eine Serie hier auf dem Blog!
Ein weiterer Punkt, der für viele Menschen ein wichtiger ist, ist die Trennung von Mutter und Kalb. Das ist etwas, wo kein Siegel Abhilfe schafft. „Muttergebundene Kälberaufzucht“, wie die Alternative zur Trennung genannt wird, ist die Initiative einzelner Bauern und das ist meiner Meinung nach auch ein wirklich guter Ansatz. Weg von der Siegelgläubigkeit und hin zu einem eigenen Beschäftigen mit den Lebensmitteln. Die Kälber werden standartmäßig von den Müttern weggenommen, ob jetzt sofort, nach ein paar Stunden, einem oder mehreren Tagen macht vom Trennungsschmerz her keinen großen Unterschied. Das ist meine Erfahrung, und ich habe schon viele Kälber von ihren Müttern getrennt.. Wie sehr gelitten wird, ist von Tier zu Tier unterschiedlich, manche leiden laut, manche wenn dann still. Tendenziell ist es für die Kälber einfacher, wenn sie in den ersten Tagen getrennt werden, weil sie in der Natur in der Phase auch noch nicht mit der Mutter laufen würden, für die Mütter ist es tendenziell immer sehr viel schlimmer. Für das Immunsystem, die Gesundheit der Kälber ist jeder Tag bei der Mutter förderlich. Auch entwickeln sie sich sehr viel besser als wenn sie mit dem Eimer großgezogen werden. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Auf Milchaustauscher, wie er bei der konventionellen Kälberfütterung mittlerweile Standart ist, gehe ich jetzt nicht ein, es geht hier ja um Milch für Menschen. Wer muttergebundene Kälberaufzucht unterstützen möchte, kann sich auf der Website von KUH+DU informieren. Ansonsten hab ich auf meinem Instagram-Account auch ein kleines Video zu dem Thema gemacht:
Was also tun? Ich habe im Text schon verraten, welche Milch ich im Supermarkt kaufen würde. Pasteurisiert, nicht homogenisiert, möglichst vom Bauern selbst abgefüllt. Würde ich auf dem Land leben, oder viel mit dem Auto unterwegs sein, würde ich mir einen Landwirt suchen, von dem ich die Milch direkt aus dem Tank beziehen kann. Ich habe meine Exkurse über ESL und Homogenisierung nicht geschrieben um jemanden abzuschrecken, aber meine Hypothese zu natürlicher Milch habe ich ja schon zu Beginn formuliert. Ich möchte eine Milch trinken die schnellverderblich ist, denn das ist die Milch die aus den Eutern kommt.
Wenn ich mir den Hof aussuchen könnte, würde ich für den Milchkauf einen Hof suchen der selbst Käse herstellt. Aus der Erfahrung von bestimmt 20 Melkständen, deren Milchfilter ich nach den Melkzeiten inspiziert habe kann ich sagen, dass die Melkhygiene sehr viel besser ist, wenn die Käserin oder der Käser den Melkenden beim Frühstückstisch gegenüber sitzen und ein Feedback zur Milch des Tages geben. Milch ist nicht gleich Milch und hochsensibel. Zwei letzte Beispiele?
Wenn es sein muss: Wenn wir auf dem Bornwiesenhof meiner Eltern unsere Milch an die Molkerei abgeben, kühlen wir sie auf 4°C, verkäsen wir selbst, nur auf 6°C. Unterhalb von 6°C werden die natürlichen Milchsäurebakterien irreperabel geschädigt und vor allem Hofkäsereien möchten eine „gereifte“ Milch, die einen Teil der Arbeit selbst erledigt, was dem Geschmack der Produkte sehr zuträglich ist. Ein noch krasseres Beispiel habe ich auf dem Dottenfelderhof bei Frankfurt erlebt, dort wird die Milch nach dem Melken nicht wieder gepumpt, um die natürlichen Strukturen nicht weiter zu schädigen, sondern nur noch mithilfe der Schwerkraft vom Milchtank am Stall in die Käserei transportiert. Das machen dem Vernehmen nach mehrere Spitzenkäsereien so.
Ich glaube, dass es viele Wahrheiten gibt und was Milch angeht, wenig eigentlich so richtig gefährlich ist. Was ich auch glaube ist, dass es bei industrieller Ware nur ganz am Rande um die Qualität und den Geschmack geht und zu allererst um die Haltbarkeit und Sicherheit der Lebensmittel. „Echte“ Lebensmittel sind nicht immer endlos haltbar, weil eine hohe Qualität oft ein sehr fragiles Konstrukt aus vielen geschickt balancierten Faktoren ist. Es liegt an jedem von uns, selbst zu entscheiden an welchem Punkt des Spannungsfeldes zwischen Qualität, Ethik, Sicherheit, Preis und Verbundenheit zu einem Produzenten man sich einreiht. Bei mir ist es zuerst die Verbundenheit zu den Produzenten, die mich auf Bauernhöfe fahren lässt, wenn ich mal ein Wochenende frei von meiner Arbeit auf dem Bauernhof habe. Ich weiß um die Arbeit, die hinter einer guten Qualität steckt und dass der Preis eigentlich nie auch nur annähernd reicht.
Ich weiß, dass der Text sehr lang ist und sehr viele Themen nur oberflächlich anschneidet, aber ich bin überzeugt, dass man sich nur einmal wirklich mit Milch auseinandersetzen muss, um zu wissen was man möchte. Dabei könnte er helfen. Es ist mein Ansatz an das Thema und kein Versuch objektiv zu sein. Danke fürs lesen!
Für mehr, folgt dem Hofhuhn doch gerne auf Instagram und Facebook. Wenn Du meinen Text absolut blöd, unzutreffend und fachlich schwach findest, dann nimm doch gerne Kontakt mit mir auf: ich bin für Meinungspluralität und biete hier und jetzt den Blog auch dafür an, eine andere Sicht darzustellen. Nur nicht beleidigt irgendwo herumhaten. Ich bin nicht besonders schlau oder perfekt, versuche nur die gestellten Fragen möglichst gut zu beantworten.
Profi-Legehennenmanagement: auch für Hobbyhalter Gold wert
Ich habe bereits ein paar Tage nach meinem Start in den Job hier auf Hof Ankersolt in einem Blogeintrag davon geschwärmt, wie viel ich bei einem Tag Legehennen-Bonitur mit der Geflügel-Beraterin gelernt habe. Mehr als in vielen Jahren Hobbyhaltung und Selbststudium.
Die drei Downloads auf der verlinkten Seite ersetzen im Grunde jedes Hühnerbuch. Sie und dann noch eine Woche Internetrecherche welche Hühnerrasse am besten zu dir passt und Du bist gewappnet. Wirklich, ich bin fassungslos, wie viel Qualität die Unterlagen haben und vor allem sind das Fachleute, die mit professionellen Betrieben aus ökologischer und konventioneller Eierproduktion zusammengearbeitet haben. Die Wucht an Fachwissen dahinter und die Praxisnähe sind unfassbar.
Jeder Hobbyhalter hat durch den Download der Basiswissen-PDF die Möglichkeit eine Menge hinzuzulernen und die Beurteilungskarten helfen bei der praktischen Umsetzung im Hühnerstall.
Ich weiß, es klingt so, als ob ich jetzt als nächstes schreiben würde „nur hier die E-Mail-Adresse eintragen und schon bekommst du die Dateien“, aber nein. Nur hier den Link anklicken und die Dateien in der rechten Seitenspalte herunterladen. Ich finde mal noch heraus, wie man an die Ringbinder kommt, die mit abwaschbaren Blättern daherkommen.
https://www.mud-tierschutz.de/beratungsinitiativen/etablierung-eines-managementtools-bei-legehennen/
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