Dein Eigenes Hofhuhn-Projekt? Zehn Dinge die ich Dir mitgeben möchte.
Ich erzähle über meine Arbeit und über meine Hühner. Das ist der Hofhuhn-Auftritt, wenn man die Feinheiten auslässt. Das „Hofhuhn-Projekt“, dass hier als Namenspate steht, soll aber nicht nur mein persönliches Projekt sein oder als Franchise-Konzept unter Lizenz überall vertrieben werden, sondern soll als Graswurzelbewegung echte Hühner auf echte Höfe zurückbringen.
Es geht darum, die Hire-and-fire-, beziehungsweise Wegwerfmentalität in der modernen Tierhaltung zumindest bei Hühnern zu durchbrechen und zumindest bei den Menschen, die sich in dieser nicht wiedererkennen eine nachhaltige Alternative zu etablieren. Keine Hybriden, keine wirtschaftlich wertlosen Hähne die nur verkauft werden können indem man den Eierkunden ein schlechtes Gewissen macht und vor allem kein laufendes Austauschen der Herde, sondern soziale Strukturen in denen junge Tiere von älteren Tieren die Feinheiten des naturnahen Hühnerlebens lernen. Meine philosophischen Ergüsse gibt es ja inzwischen als Podcast direkt auf die Ohren, deswegen werde ich mich hier auf dem Blog in der nächsten Zeit wieder mehr mit meinem Lieblingsthema Hühner beschäftigen. Diese Liste möchte ich den späteren Texten mit meinen schon entwickelten Ideen voranstellen, dass sich jede*r selbst ein bisschen Gedanken machen kann, bevor ich mit meinen eigenen Schlüssen die Verrücktheit der Ideen vielleicht ein bisschen schmälere.
1 – Die Sache ernst nehmen
Die Grundidee des Hofhuhn-Projektes ist, dass es nebenbei laufen kann. Meine Vision ist nicht, selbst tausende von Hühnern zu halten und auf dem Punkt zu beharren, dass ich und nur ich mit meiner Erfahrung und Experimentierfreudigkeit die beste Hühnerhaltung entwickelt habe, sondern es soll kopierbar sein. “Open Source”-Hühner sozusagen, jede*r soll mitmachen können. Trotzdem ist es sauwichtig, die Sache ernst zu nehmen. Es geht um Tiere und Tiere sind in unserer Gesellschaft oft Waren. Heißgeliebte Waren teilweise zwar, die ihren Besitzern jede Menge Arbeit machen, aber ich beobachte, dass sie gekauft und verkauft werden, als ob sie Brennholz oder Lebensmittel wären. Der Lebensmittelvergleich trifft es vielleicht ganz gut. Was ich nämlich auch oft beobachte ist, dass Tiere gekauft werden wie Tiefkühlpizza wenn man gerade Heißhunger hat. Die Pizza kann dann aber bei einer Meinungsänderung einfach im Kühlfach verschwinden, während die Tiere mit nachlassender Freude und Sorgfalt oft nur noch vor sich hinvegetieren. Also: die Sache ernst nehmen. Beim Hofhuhn-Projekt geht es nämlich nicht um austauschbare Tiere die man halt irgendwann schlachtet wenn am Freitag wieder der Hühnermann beim Landhandel steht, sondern es soll lebendig sein. Sich entwickeln und entwickelt werden. Dafür muss es ernst genommen werden.
2 – Was kann ich meinen Hühnern bieten?
Meine Vision ist, einfach Hühner zu halten, bzw. Hühner einfach zu halten. Die heutige Hühnerhaltung ist in den allermeisten Fällen hochkomplex nach “Schema F”. Es wird geschaut, wie viele Eier man vermarkten kann, dann wird geschaut ob für die dafür nötigen Tiere ein Gebäude und eine Auslauffläche vorhanden sind. Falls kein Stall da ist, werden sich Mobilställe angeschaut. Ist da eine Entscheidung getroffen, werden Hühner bestellt, es wird geschaut welcher Teil der Futterration vom Hof kommen kann und der Rest wird ebenfalls bestellt. Das ist zwar von der Konzeptionierung her einfach, weil man nicht viel selbst entwickeln muss, gleichzeitig kommen die modernen Hybriden mit einem großen Anspruch an Perfektion an die Haltung und Fütterung weil sie sonst nicht einhalten was sie versprechen. Beim Hofhuhn-Projekt geht es erstmal darum zu schauen, was man den Hühnern als Hof oder Gärtnerei oder auch Restaurant, Mosterei, Meierei oder sonstwas bieten kann. Prinzipiell gilt: was man Schweinen füttern kann, kann man auch Hühnern füttern. Was mich als Mensch satt machen würde, macht auch meine Hühner satt. Wir, als Hof mit Käserei, haben natürlich immer wieder Reste aus der Milchverarbeitung. Molke, Milch, Käsereste. Perfekt um Hühner zu versorgen. Ihr seid eine Gärtnerei und habt einen Kompost? Warum lasst ihr ihn nicht von Hühnern umsetzen? Euch fehlt ein Hahn auf dem Misthaufen? You go girl..
3- Recherche
Was gibt es schon? Wenn Du das hier liest, wirst Du wohl mein Hofhuhn-Projekt kennen. Das gibt es aber erst so halb. Betriebe von denen ich mir Dinge abgeschaut habe sind vor allem Polyface Farm mit Joel Salatin, John Suscovich, Karl Hammer von Vermont Compost, Kingbird Farm und Swedish Homestead. Dazu kommen tausende von Stunden Praxiserfahrung, bei der ich mir offene Augen und einen kritischen Blick bewahrt habe. Und natürlich Höfe, die ich besucht habe. Ich habe von überall etwas mitgenommen. Meine Recherche war über Monate mein Abendprogramm und fand gerne auch auf YouTube statt. Stichworte die gefallen sind habe ich dann gleich googeln können und bin auf kleine aber feine Dinge gestoßen wie den Ohio Brooder für die Kükenaufzucht oder Azolla als Eiweißfutter.
4 – Die Sache einfach halten.
Wenn Du den Schritt gehst, ein solches Projekt zu verwirklichen, steht oft mehr als eine Idee im Raum die umgesetzt sein möchte. Bei mir war es der Wunsch neben Hofhühnern eigentlich gleich einen ganzen Hofgeflügelhof aufzubauen. Nicht nur die Hühnerhaltung ist Kritik- und Verbesserungswürdig, sondern auch Enten, Gänse, Wachteln, Puten, Perlhühner, Tauben, Kaninchen, Fische, Krebse und was es sonst noch so gibt, könnte man toll und naturgemäß halten. Man verzettelt sich aber nur. Ich habe mit Hühnern, Enten und Gänsen angefangen und bin damit mehr als ausgelastet. Auch habe ich mehrere Hühnerrassen und davon sogar noch teilweise verschiedene Farben: too much. Einfach zu viel. Wenn Du, wie ich, verschiedene Eierfarben möchtest, such dir drei Hühnerrassen aus. Fange aber lieber mit einer an, auf die Du dich voll konzentrierst und der Du voll gerecht werden kannst. Es ist ja nicht damit getan einfach ein paar Eier zu kaufen und auszubrüten, sondern zum Weiterzüchten sollte man von Beginn an aus mindestens zwei Blutlinien Tiere haben um Inzucht zu vermeiden die separat schlüpfen und dann markiert werden müssen. Die Kapazität dafür, Arbeiten zu erledigen ist immer gleich. Wenn man die Dinge von Vorneherein einfach hält, kann man den einzelnen Aufgaben von Anfang an besser gerecht werden.
5 – Kontakte aufbauen
Wie schon vorher geschrieben – was gibt es schon? Die Menschen die ähnliche Projekte durchziehen haben die meisten Fehler schon gemacht, können deswegen die meisten Fragen locker beantworten und tun das auch oft gerne. Wer Konkurrenz fürchtet und sich weigert, sich zumindest ein wenig über die Schulter blicken zu lassen, ist sich der Qualität seiner Sache nicht sicher und man kann getrost woanders suchen. Weiter sind natürlich zukünftige Kunden wichtig. Auch die müssen erstmal wissen, warum Deine Produkte besonders sind. Damit anzufangen, Menschen heiß auf Deine Produkte zu machen, kann man gar nicht früh genug. Einen Kontakt den man unbedingt aufbauen sollte, sind Geflügelzüchter. Es gibt fast überall einen Geflügelzuchtverein und für viele Rassen auch Sondervereine. Dort und nur dort sollte man sich nach dem Grundstock der eigenen Zucht umschauen. Bruteier über Onlineportale zu verkaufen ist leicht verdientes Geld für Hobbyhalter, dort bekommt man aber oft Eier von Tieren, die die Menschen selbst online gekauft haben und bei denen ein ziemlicher Inzuchtdruck herrscht. Hühnerzüchter*innen dagegen sind gerne mal sehr kauzig und nicht immer leicht zu greifen, vor allem wenn man überregional sucht und telefonisch oder per Mail versucht Kontakt aufzunehmen. Das ist es aber wert. Die meisten Sondervereine haben Koordinatoren die gerne weiterhelfen und einem auch Züchter*innen empfehlen können, die ebenfalls hilfreich sind. Ein Hofhuhn-Projekt soll ja langfristig ausgelegt sein und da sind ein paar Extrameter zu Beginn mal drin.
6 – Sich Zeit lassen
Wie schon bei Punkt vier, die Sache Einfach halten, sind es auch hier die Ideen die unbedingt umgesetzt werden möchten. Wie im letzten Satz des vorherigen Punktes: es soll langfristig funktionieren, das heißt, dass man nur gewinnen kann, wenn man von Beginn an ein Tempo geht, das gehalten werden kann. Wenn man selbst brüten möchte (was das Ziel sein sollte und bei Biobetrieben auch fast unumgänglich ist, es gibt schließlich keine Rassehuhn-Junghennen zu kaufen und ein ganzheitliches Konzept schließt die Hähne mit ein und dass man die “Grundsubstanz” der Tiere, aus der sie während der Legeperiode zehren, auch mit hofeigenem Futter aufbaut) sollte man im Winter anfangen. Dann sind zwar Bruteier etwas schwieriger zu bekommen, weil die Züchter selbst auch brüten, aber die Tiere können im Frühjahr wachsen und beginnen im Sommer an zu legen. Im Winter ist auf den meisten Betrieben auch die beste Zeit um die notwendigen Dinge zu bauen. Was nett daran ist sich selbst etwas aufzubauen: der Start ist gemächlich. Wenn die Bruteier kommen, sind noch drei Wochen Zeit um den Kükenstall zu bauen und auch der muss nur nach und nach erweitert werden. Bis zum fertigen Huhn sind es ja immerhin fast sechs Monate.
Aber auch während der täglichen Arbeiten ist es das Wichtigste, sich immer wieder Zeit zu nehmen, bzw. Zeit zu lassen, zu beobachten, zu lernen und Dinge gegebenenfalls anzupassen.
7 – Offen, idealistisch und zielstrebig bleiben
Sobald die Bruteier in der Maschine sind, gibt es kein Zurück mehr. Das ist eine Wahrheit, die einen irgendwann trifft. Bruteier zu händeln fühlt sich nicht anders an, als Eier für die Küche zu kaufen. Eine Brutmaschine aufzubauen und einzustellen nicht anders als ein neues Küchengerät kennenzulernen. Die Kombination schafft aber neues Leben und dafür ist man dann verantwortlich. Bei aller Recherche muss man immer dazulernen und offen bleiben, bei allen Alltagsroutinen darf man die Vision nicht aus den Augen verlieren auf die man hinarbeitet und auch wenn es sich in einigen Momenten überwältigend und groß anfühlt, darf man nicht verzagen und muss den Mut bewahren, der einen dazu gebracht hat, sich das Projekt überhaupt zuzutrauen.
8 – Für alle Fälle gewappnet sein
Es wird nicht alles glatt laufen. In der Vorstellung ist es meistens warm und sonnig und die Dinge funktionieren wie gedacht. Es reicht aber nicht, die Euphorie einzudämmen, sondern man muss sich darüber hinaus auch mit den Dingen beschäftigen, auf die man nicht so viel Lust hat: was, wenn ich meine Produkte nicht ab Hof loswerde? Was mache ich wenn Tiere krank werden? Was mache ich wenn es auf einmal Winter wird? Was, wenn die Hähne zwar schon fast ausgewachsen, aber noch nicht geschlachtet sind? Wie händle ich die doppelte Menge Jungtiere bis zum Schlachttermin? Wo lasse ich schlachten? Was, wenn Tiere krank werden?
9 – Mutig bleiben
Wenn man die Sache ernst nimmt, muss man jeden Fehler nur einmal machen. Wenn man offen ist und aus Fehlern anderer Menschen lernen kann, eventuell sogar gar nicht. Es ist wichtig, die Sache ernst zu nehmen und sich selbst nicht zu überschätzen. Die Praxis ist immer anders als die Planung und die Vorstellung aufregender als die Realität, gleichzeitig geht es nicht um Bonsais oder Koikarpfen. Es sollen keine Uhren gebaut werden oder Flugzeuge konstruiert. Es sollen Hühner gehalten werden. Nebenbei. So, wie sie über Jahrhunderte auf den Höfen nebenbei gehalten wurden. Einfach und artgerecht. Das ist die Idee und das ist für jede*n zu schaffen.
10 – Stolz sein
Das ist der vermutlich wichtigste Punkt. Menschen, vor allem Kolleg*inn*en mögen keine unbequemen Ansätze. Wer sich dafür entscheidet Hofhühner halten zu wollen, entscheidet sich dafür, etwas anders zu machen als wahrscheinlich 99% aller professionellen Hühnerhalter. Nämlich die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Den Betrieb, das Tier und den Prozess in den Mittelpunkt zu stellen. Nicht zu schauen wie man mit dem Marktpreis wirtschaften kann, sondern für die Produkte einen Preis zu bekommen der die Arbeit widerspiegelt, die es macht sie herzustellen. Das ist unbequem und für die Menschen die das nicht so machen auch schnell mal unsympatisch. Man muss aber also bescheiden bleiben. So individuell wie ein Hofhuhn-Projekt auf jedem Betrieb ist, so individuell muss es sich beweisen und funktionieren. Man muss sein Licht deswegen aber nicht unter den Scheffel stellen. Nur weil man nicht drauf besteht etwas besseres zu sein weil man seinen Idealen folgt, ist man aber ganz sicher auch nichts schlechteres und das Projekt kein naives Hobby, sondern ein Betriebszweig in der Entwicklung.
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