Hühnchen Adé: mit einem Rezept zum Flexitarier
Dinge hängen oft zusammen. Manchmal sind die Zusammenhänge aber auch reziprok. Das ist ein schlaues Wort dafür, dass die Sachen zwar zusammenhängen, aber genau umgekehrt als man es annehmen würde. Glaube ich. So hat mich vor knapp anderthalb, zwei Jahren ein tolles Hühnchen-Rezept dazu gebracht, kein Hühnchen mehr essen zu wollen.
Kulinarisch minderwertige Teile
Wir Europäer haben ein seltsames Verhältnis zum Geflügel. Wir essen am liebsten den fadesten, trockensten und überhaupt langewiligsten Teil der Vögel: das Brustfleisch. Als ich mal eine Zeit lang versucht habe mir Elemente der asiatischen Küche anzueignen, habe ich in den Geschäften neben den ganzen Marinaden (Sojasoße, Austernsoße, Fischsoße, Chillipasten..) und Gewürzen (diverse Chillies, Kurkuma) vor allem ein Fleischteil vermisst: “boneless Chicken Thigh”; ausgebeinte Hähnchenschenkel. Mein Bruder, der Kraftsportler ist, wusste genau weswegen er die Schenkel nicht essen wollte: zu viel Fett. Für alle normalen Menschen aber: warum gibt es das nicht? Jedes asiatische Rezept ist mit Hähnchenschenkeln. Hähnchenbrust schicken sie wahrscheinlich als “Reste” an Asiashops in Deutschland, wo wir wannabe-authentischen Weltköche sie dann für einen Spottpreis kaufen.
Ich bin ein pragmatischer Mensch. Das liegt wahrscheinlich in gleichem Maße an meinem landwirtschaftlichen Hintergrund wie an meinem Aufwachsen im Hunsrück. Einer Gegend voller Pragmatiker. Als versierter aber bettelarmer Foodie und Student wusste ich natürlich Abhilfe. Bei Famila in der Wik waren ganze Hähnchen im Angebot. Keine zehn Euro für einen ordentlichen Brummer. An einem freien Vormittag schwang ich mich also aufs Fahrrad und kaufte mir zwei, drei Hähnchen. Außer dass ich pragmatisch bin hab ich nämlich auch noch ein paar grundlegende Hausschlachtungs-Skills. Ich wollte mir meine “Boneless Chicken Thights” einfach selbst bauen. Zuhause am Filetiermesser bekam ich aber erste Zweifel an meiner Entscheidung. Ich hatte extra einen Vormittag abgewartet an dem meine Freundin in der Uni war, sie stand schon vorher nicht so auf Schnellmast-Hähnchen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nur unsere eigenen Hähnchen zuhause auseinandergenommen. Die paar die durchgekommen sind, wenn eine meiner Hennen gebrütet hatte. Das waren eher Hungerhaken, ein anderer Schnack. Die breite Brust fand ich ganz ansprechend. Man ist es ja auch irgendwie gewohnt, dass Hähnchen so aussehen. Die Optik war aber noch nicht das was mich zweifeln ließ. Denken können hätte ich es mir aber schon ziemlich von Anfang an.
Zum Beispiel als ich den ersten Schenkel fast ganz herumbiegen musste, bis genug Spannung aufgebaut war um einen trennenden Schnitt machen zu können und dieser trennende Schnitt ging dann auch gleich durch das Kugelgelenk im Oberschenkel ging. “OK”, dachte ich aber noch. “Sind halt junge Tiere.” Das Abnehmen der Brust war auch kein Problem, einfach einmal am Rippenbogen entlang (sicherheitshalber hatte ich mir vorher ein Video von Scott Rea angeschaut). Jetzt noch die Flügel ab und das Tier war zerlegt. Frisch und fröhlich ans Ausbeinen. Dachte ich mir.
Das Fleisch, das nicht wie Fleisch war
Wenn man wie ich meistens mit größeren Tieren wie Rindern, Ziegen, Schweinen und solcherlei gearbeitet hat, hat man eine gewisse Erwartung daran, wie sich das Fleisch beim Schneiden verhält. Ich denke doch, dass die meisten zumindest mal ein Medaillon aus einem Filet geschnitten haben, oder Geschnetzeltes aus einem größeren Stück Rindfleisch. Fleisch gibt beim Schneiden ein wenig nach, bewegt sich mit der Schneidebewegung des Messers mit und widersetzt sich ein bisschen dem zerschnitten werden. Das war irgendwie auch meine Erwartung an die Hähnchenschenkel, als ich den Knochen herausnehmen wollte. Die Realität war aber, dass sich dieser Moment, in dem das Messer beim Zerschneiden greift und beginnt die Fasern zu durchtrennen nicht einstellt. Das Schenkelfleisch, dass als “dunkel” gilt, also durch Bewegung gestärkt und durchblutet, war ein einziges Gewabbel. Ich riss es eher auseinander als dass ich es schnitt. Ich suche seitdem nach einem Vergleich, aber ich finde nicht so wirklich einen. Irgendwie puddingmäßig hab ich es immer genannt, am nächsten kommt es der Vorstellung in ein Silikonimplantat zu schneiden. Kein eingebautes selbstverständlich. Nicht, dass ich mich mit der Thematik näher beschäftigt hätte, aber in den Dokus die ich gesehen habe, sahen mir die Implantate so aus, als sei ihr Inneres so weich, dass ein Schnitt nicht aufklappen würde, sondern irgendwie wieder zusammenwabbeln. Das hatte nichts mit dem zu tun, was ich mir von dem Schenkelfleisch der Hähnchen erwartet hatte. Ich dachte, dass zumindest das Fleisch der Beine ein wenig Struktur hätte. Pustekuchen.
Geschmeckt haben die ausgebeinten Schenkel wiederum ganz gut. Besser als das Brustfleisch auf jeden Fall. Einen Teil habe ich stumpf und simpel mit Brathähnchengewürz im Kontaktgrill gemacht. Wie gesagt, leckerer als Hähnchenbrust. Den anderen Teil der Schenkel habe ich in das folgend verlinkte Rezept verarbeitet. Das – laut dem Autor – international berühmteste Burmesische Gericht: “Oh – no – Khao – swe”. Nudeln in Kokosnuss-Kichererbsen-Brühe (mit Hähnchen). Lest es euch durch und kocht es nach. Ich bin kein Kokosfan, aber ich bekam so Lust auf das Gericht, als ich es im Rahmen der “#noodleholicparty” gefunden habe. Ich hatte große Angst vor Salmonellen (eigentlich wollte ich schreiben “ich hatte Bauchweh”, aber dann hätte ich noch einen extra-Satz schreiben müssen, dass das nur gefühltes Bauchweh war, denn es ist ja nix passiert), als ich das Hähnchenfleisch im Standmixer geschreddert habe, aber das Ergebnis hat mal wieder bewiesen, dass es sich lohnt, die bekannten Pfade zu verlassen.
Ein einprägsames Erlebnis
Das Fleisch dieser Hähnchenschenkel, das Gewabbel beim Versuch es vom Knochen zu trennen, die vollkommene Faser- und Strukturlosigkeit im wichtigsten Bewegungsmuskel der Tiere hat bei mir aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich war als Student bitterarm. Nach dem Erlebnis habe ich aber aufgehört, mir Hähnchen zu kaufen. Ein Brathähnchenstand kann so verführerisch riechen wie er möchte, ein Angebot so gut sein wie es will: ich bin raus aus der Nummer. Putenfleisch habe ich mir vorher schon nicht gegessen, weil ich auch die Bilder aus der einem ordnungsgemäß geführten Betrieb widerlich finde, dasselbe mit Garnelen, die ich mir auch in Bio-Qualität aus Übersee nicht antun möchte. In der Gegend von Kiel gibt es Fördegarnelen und in München Crusta Nova, ich denke, dass ich bei Gelegenheit mal Produkte dieser Firmen probieren werde. Wenn ich Hühnchenfleisch kaufen wollen würde, würde ich mir mal anschauen, wo ich Produkte von „Odefey und Töchter“ bekommen kann.
So hat sich bei mir bei immer mehr Sorten Fleisch eine Abneigung entwickelt, die für mich einen Verzicht auf sie nicht schwierig machen. Vor einiger Zeit kam die Einsicht dazu, dass ich den Geschmack von Schweinefleisch nicht mag. Zumindest den von konventionellen (ja, da gibt es Unterschiede) und der Gedanke, dass ich es für mich dämlich finde etwas mit Marinade zu essen, dass mich ohne Marinade abstößt. Wenn ich selber koche, oder wenn meine Freundin Marieke und ich gemeinsam kochen, ist es oft, wenn nicht sogar meistens vegetarisch. Ich wohne inzwischen wieder auf einem Hof, habe also fast unbegrenzt Zugang zu unserem eigenen Demeter-Fleisch, ich versuche aber trotzdem, weniger als ein halbes Kilogramm in der Woche zu mir zu nehmen – ohne dabei zu verkrampfen aber. Das ist das mit Abstand wichtigste: es muss natürlich passieren. Nicht auf Krampf. Ansonsten würde ich mit Sicherheit den Spaß am Essen verlieren und vermutlich damit anfangen anderen Leuten ihr Fleisch madig reden zu wollen und wäre in der Besserwisser-Mühle, in der sich viele Menschen selbst isolieren, die durch ihren persönlichen Verzicht eigentlich etwas gutes tun möchten.
Nun aber; welches Fleisch esse ich?
Meine Entscheidungsfindung, ob ich ein Fleisch essen möchte ist im Grunde denkbar einfach. Ich habe als Bauer das Glück einigermaßen Ahnung von Tieren zu haben. Meine Frage an mich selbst ist “hätte das Tier ein gesundes Leben vor sich gehabt, wenn es nicht geschlachtet worden wäre?” wenn ich die Frage bejahen kann, dann esse ich das Fleisch mit Genuss, wenn ich es nicht glaube, dann möchte ich das Fleisch nicht essen. Hähnchen, Puten, Mastschweine, Garnelen und solcherlei würden an den Haltungsbedingungen oder an ihrer genetischen Konstitution verrecken, wenn sie nicht in jungem Alter geschlachtet würden (übrigens auch die meisten „Freilandhähnchen“), Rinder dagegen könnten in der Regel alt werden (auch wenn eine konventionelle Mast auf Vollspalten auch ein Ausschlusskriterium ist, es ist kein kategorisches).
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