Zu gut um wahr zu sein: der Suscovich-Chicken Tractor
Der Unterschied zwischen Bauern und Gärtnern ist für mich immer die Freude am Kleinklein. Ich habe eine Zeit auf einem Betrieb gelernt auf dem es sowohl Landwirtschaft als auch Gartenbau gibt und die Male die ich im Garten habe aushelfen müssen, haben mich doch immer frustriert. Ich bin kein Großmaschinenjunkie, überhaupt nicht, aber jeden einzelnen Zentimeter Boden abzuscannen und Unkräuter (jaja, “Beikräuter”) Stück für Stück herauszuziehen ist einfach nicht meins. Lange hätte man meinen Lifestyle als funktionierendes Provisorium beschreiben können. Inzwischen muss ich aber doch mehr Nägel mit Köpfen machen, das ist wohl das Erwachsen werden. Dazu gehört dann auch, sich mal bis ins Detail mit Dingen auseinanderzusetzen und sie nicht nur gut zu durchdenken, sondern auch so zu bauen.
Diese Einleitung kann vielleicht meine Skepsis beschreiben, als es daran ging für meine Küken eine Zwischenlösung zwischen der geschützten Aufzucht der ersten Wochen und der ultimativen Freiheit des späteren Lebens zu finden und diese sowohl mobil, als auch super funktionell zu gestalten. Wir Deutschen haben eine große Affinität zu festbetonierten Dingen, die bei Hühnern allerdings fehl am Platz sind, weil sie jeden Fleck Erde drumherum innerhalb kürzester Zeit von oberflächlichem Leben befreien.
Es geht um Küken. Ich hoffe das reicht, als Hinweis, so dass ich nicht drauf eingehen muss, warum ich keinen Bauwagen ausbaue.
Eine einfache Idee von hinterm Teich
Die Lösung für die ich mich nach langem hin und her entschieden habe ist ein sogenannter Chicken Tractor. Ich habe noch kein ordentliches Wort gefunden, ich werde in diesem Text mal Schleifzelt nutzen, das ist aber nur ein Arbeitstitel der mir in diesem Moment gekommen ist. In der amerikanischen Homesteader-Szene, unter den Selbstversorgern, haben die Schleifzelte, die dort konsequent Chicken Tractors genannt werden, eine große Verbreitung. In Deutschland habe ich bisher eigentlich nur eine Umsetzung vom Selbstversorgerkanal gesehen, der einige Sachen ähnlich, einige aber auch sehr anders gemacht hat.
Um es auf einen Satz zu bringen; mein Ding soll Spaß machen. Das heißt, dass man es auch einfach versetzen kann, wenn man mal keine Zeit oder keine Lust hat sich intensiver mit den Tieren zu beschäftigen. Das ist eine Erfahrung die ich bei den vielen Kleinvieh-Projekten gemacht habe, die ich seit frühester Kindheit durchgezogen habe: lieber in dem Moment in dem man Lust drauf hat einen Handgriff mehr machen, als dass man sich für lange Zeit mit Abkürzungen und schnellen Lösungen herumschlagen muss.
Das Schleifzelt (ich mag den Namen jetzt schon nicht mehr, es hört sich an wie “E-Post” auf der NPD-Website) ist die aufgemotzte Variante der Kaninchen-Ausläufe die ich früher gebaut habe. Eine, überall außer unten, geschlossene Lösung. Nach einiger Online-Recherche habe ich mich für das Modell von John Suscovich entschieden, der die Original-Idee von Joel Salatin meiner Meinung nach am besten weiterentwickelt hat. Der größte Pluspunkt ist die Höhe, das passt zu meiner Überzeugung, dass Tiere auf Dauer nur in Ställen gut versorgt werden in die die Verantwortlichen gerne hineingehen. Suscovichs Modell punktet vor allem durch eben diese lichte Höhe die das Gebäude hat. In seiner Variante etwa 1,80m, bei mir waren es am Ende über 2m. Sämtliche Einrichtungsgegenstände (Futter, Wasser) sind aufgehängt, so dass man den Stall auch mal bewegen kann, ohne hinein gehen zu müssen. Stehen Tränken und Tröge auf dem Boden, muss man sie hinausnehmen und nach dem Umziehen wieder hineinstellen. Das ist alles extra Arbeit, vor allem wenn man das Umstellen und Füttern zu verschiedenen Zeitpunkten machen möchte. Eine detaillierter Anleitung auf Englisch kann man bei Amazon kaufen “Stress-Free Chicken Tractor Plans” nennt sich das schmale Büchlein und ist für knapp über 10 Euro erhältlich. Ich habe das Modell ein wenig abgewandelt. Um die Abwandlungen verstehen zu können, schaut doch vielleicht einmal Suscovichs kurze Vorstellung des Modells an:
Etwas Jazz über Suscovichs stressfreie Baupläne
Die erste Abwandlung waren die Bretter. In den USA baut man viel aus den sogenannten “Zwo-by-fours”, die ungehobelt 2×4 Zoll, also etwa fünf auf zehn Zentimeter, messen. Ich habe Bretter genommen die wir noch da hatten, 2x12cm, was meiner Meinung nach gleichzeitig Gewicht reduziert, Stabilität hinzugefügt und vor allem dafür gesorgt hat, dass ich keine sogenannten Überblattungen nutzen musste. Überblattung nennt sich das, wenn man an der Verbindungsstelle von beiden Teilen etwas wegnimmt, so dass sich die Verbindung auf der gleichen Ebene befindet wie alles andere, es wird also nicht “draufgeschraubt”, sondern “eingelassen”. Das ergibt Sinn und gibt Stabilität wenn das Material 5x10cm ist, bei zwei Zentimeter dicken Brettern aber nicht. Das zweite was ich anders gemacht habe, war der Aufbau. Ich bin gerade dabei ein Gewächshaus aus PVC-Kabelkanälen, diesen weißen Rohren durch die man Elektrokabel verlegt, zu planen. Suscovich nimmt Metallrohre, die er mit einem extra Gerät biegen muss, ich habe mich für 20mm PVC-Rohre entschieden, die in 2m Länge kommen.
Oben habe ich sie mit einem 90°-Winkelstück verbunden, was die ganze Geschichte im Vergleich zu einem runden Bogen ohne Winkelstücke sehr verschlankt und in die Höhe zieht. Gleichzeitig spart man viel Gewicht und Geld und das Weniger an Stabilität, dass mit den dünnen Plastikrohren einhergeht, ist am Ende, wenn Draht und Plane befestigt sind nicht so groß, als dass man Futter und Wasser nicht mehr aufhängen könnte. Oben verbindet ein längs des Giebels verlaufendes Rohr die Streben und hält sie – verbunden durch Schlossschrauben – an ihrem Platz. An diesem Rohr kann man dann auch alles aufhängen was das Herz begehrt.
Meine letzte Anpassung ist ein bisschen aus meiner Situation geboren, dass ich aktuell nur ein Schleifzelt (ich brauche einen anderen Namen) habe und das ist die Absicherung gegen Raubtiere. Unser Hof liegt genau zwischen zwei Fuchsbauten und aktuell ist für die Füchse die Zeit in der die Kleinen viel zu fressen brauchen, aber noch nicht selbst jagen können. Eine Woche bevor die Küken geschlüpft sind, haben wir das mit unseren sechs, sieben Legehennen bezahlt, die zwar tagsüber frei laufen, nachts aber eingesperrt sind. Eigentlich sind Raubtiere für mich immer das größte Argument für einen festen Stall gewesen und ich hätte es mir lange nicht anders vorstellen können. Mein Auseinandersetzen mit Ideen der Amerikaner hat sich aber voll und ganz ausgezahlt: sie arbeiten haben nämlich trotz Bedrohung durch Bären und Koyoten, gegen die unsere Füchse ja Kuscheltiere sind, den ganzen Sommer mit mobilen, bodenlosen Varianten und das geht, weil Tiere Angst vor Strom haben. Füchse buddeln sich unter Fundamenten hindurch, allerdings nicht planvoll und strategisch, sondern auf der Suche nach einem Weg hinein. Das heißt, es reicht ein einfacher Draht, der wenige Zentimeter vom Stall entfernt knapp über dem Boden verläuft um sie abzuschrecken. Ist das verständlich? So schlau Füchse sind, sie würden nicht auf die Idee kommen 30cm entfernt mit dem Buddeln anzufangen um den Strom zu umgehen, sondern geben frustriert auf. Während Suscovich aber einen mobilen Zaun hat, den er jeden Tag ab- und aufbauen muss, habe ich mich dafür entschieden, den Zaun einfach am Mobil zu befestigen und ein kleines Elektrozaungerät innen anzubringen, das ich über ein Verlängerungskabel speise. Das heißt, mein einziger Aufwand ist, immer 30m von einer Steckdose entfernt zu sein, oder ein längeres Kabel zu kaufen. Das finde ich ein gutes Arrangement. Suscovich nutzt mehrere der Ställe gleichzeitig und zieht einen Zaun um alle herum. Wenn ich weitere in Benutzung nehme, muss ich mich entscheiden, ob ich den Zaun wieder abbaue und ebenfalls einen einzigen Zaun für alles nutze, oder ob ich die Ställe nicht nebeneinander fahre, sondern versetzt hintereinander und dann einfach mit einem kurzen Draht mit Klemme den Strom vom ersten Chicken Tractor auf die anderen übertrage. Kraft genug hat das Minigerät auf jeden Fall.
Da ein Weidezaungerät auch immer geerdet sein muss, habe ich eine weitere Anpassung vorgenommen. Den Eisenstab den ich zur Erdung benutze, habe ich fest am Rahmen des Chicken Tractors befestigt, so dass ich ihn gemeinsam mit allem anderen versetze. Die ersten Tage hatte ich ihn noch extra. Dass er in der Zeit nicht abgerissen ist, lag nicht daran dass ich ihn so aufmerksam und konzentriert immer rechtzeitig herausgezogen habe, sondern dass ich den Verbindungsdraht zum Gerät in weiser Voraussicht von Anfang an mit einem Kabelbinder gesichert habe. Zur Verbindung zwischen Weidezaungerät, Stromzaun und Erdungskabel habe ich mir das zweiadrige Kabel eines alten Schwingschleifers unter den Nagel gerissen. Die Erdung ist genau wie der Zaun direkt am Mobil, so dass ich mir dadurch ordentlich Kabelsalat gespart habe.
Die Räder habe ich im Vergleich zu John Suscovich nicht weiter modifiziert. Sie laufen auf Gewindestangen am hinteren Ende der Geschichte und sind schnell draufgesteckt. Ich habe zwei alte Räder einer Paketkarre genommen, zum Ziehen der ganzen Angelegenheit habe ich aus Ballenschnüren und einem Stück Gartenschlauch einen Griff gebaut der von der Länge her so ist, dass ich ihn mit leicht gebeugten Knien aufnehme und das Gefährt durch mein Aufrichten die zwei, drei Zentimeter anhebe die es braucht um bewegt werden zu können.
Mein Fazit:
Das Teil ist genial. Es ist kinderleicht zu versetzen. Durch meine Anpassungen auch ohne, dass ich vorher hineingehen muss. Im Sommer brauchen die Tiere keinen weiteren Unterschlupf oder Stall, die Plane schützt sie ausreichend vor allem was schlimm ist. Für meine kommenden Entenküken werde ich wahrscheinlich einen weiteren Chicken Tractor bauen, auf Dauer könnte ich mir gut vorstellen, darin auch Wachteln zu halten, für die ich bisher keine Möglichkeit einer Haltungsform gesehen habe, die mit meinen Vorstellungen von ökologischer Tierhaltung vereinbar wäre. Ein einzelner Chicken Tractor wäre tiptop für eine Familie die sich ein paar Hennen für Frühstückseier halten möchte. Hinten ein paar von außen zu entleerende Nester eingebaut und die Futter- und Wassergeschichten so angelegt, dass sie nur einmal die Woche befüllt werden müssen und man hat an täglichen Routinen 20 Sekunden Stall umsetzen und einmal in der Woche 20 Minuten Futter- und Wasserbehälter reinigen und befüllen. Zackfeddich.
Die Abmessungen meines Stalles sind 180x300cm, der untere Rahmen aus Holz ist 50cm hoch, die Tür 160cm (der Türrahmen außen 180cm) und der Giebel etwa 210cm. Die Materialkosten liegen je nachdem wie viel man noch hat (ich hatte die Bretter, die Isolatoren für den Zaun und die Litze am Hof) zwischen 30 und 150 Euro, wobei allein das Weidezaungerät knapp 50 Euro kostet. Mich hat der Chicken Tractor mit Zaungerät etwa 80 Euro gekostet und das ist er mehr als wert.
Rudolf Sasse
Juni 8, 2018 @ 9:37 am
Hallo, plane mir den schicken Traktor nachzubauen. Finde ich nämlich genial. Vor allem deine Verbesserungen perfektionieren das System. Deine Anleitung finde ich auch Super. Nur weiß ich nicht welche plane sinnvoll ist. Was ist deine Idee? Viele Grüße Rudolf
Ingmar
Juni 8, 2018 @ 11:15 am
Hallo Rudolf,
Ich habe die billigste Gewebeplane genommen die ich gefunden habe: Abdeckplane Gewebeplane Premium Line 140g/m² weiß, 3m x 5m = 15m², 25 verschiedene Größen wählbar!! Schutzplane Bootsplane Holzplane https://www.amazon.de/dp/B011OC1QKA/ref=cm_sw_r_cp_apa_i_L5LgBb8MVDWM9
3x5m. Unten hab ich sie mit 40er Schrauben befestigt, die ich zur Hälfte rein geschraubt habe und dann einfach die Ösen drüber. Leicht schräg, so dass es nicht drüber rutscht und längs und übers Dach leicht auf Spannung.
LG Ingmar
Marlies
Juli 17, 2018 @ 12:53 pm
Hallo Ingmar, wir würden tatsächlich gerne nur ein paar Hennen im Garten halten. Unsere drei Enten laufen frei herum, aber Hühner würden wohl alles zerscharrenn. Würdest du Legehennen tatsächlich dauerhaft in einem Schleifzelt halten oder ihnen doch eher 30-40m² Garten einzäunen und ein kleines Hühnerhaus bauen?
In meiner Moralvorstellung ist so ein Schleifzelt eher etwas für Mastgöckel.
LG Marlies
Ingmar
Juli 17, 2018 @ 2:25 pm
Hallo Marlies,
Der Knackpunkt ist sicher, dass sich die Tiere nicht nach Herzenslust frei bewegen können. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Punkt. Wenn möglich bin ich immer für möglich viel Freilauf. Aber bevor gar keine Hühner gehalten werden, finde ich das Schleifzelt eine super Sache. Vielleicht ja in Kombi mit ein paar Stunden Freilauf am Abend?
Es ist für alle Beteiligten (Hühner, Besitzer, Rasen) super, wenn die Tiere kurz und einigermaßen konzentriert an einem Fleck sind. Wenn sie einen Auslauf haben, dann nutzen sie halt einige Ecken über Gebühr und ignorieren andere. Wenn man sie zum Beispiel bis auf ein paar Stunden im Zelt hielte, dann würden sie tagsüber in diesem Fleißig sein und beim Freilauf am Abend die anderen Ecken nutzen und ein Staubbad genießen.
Ich persönlich halte nur übergangsweise Tiere exklusiv im Zelt. Ich habe aber auch größere Gruppen.. Für vier Hennen fände ich es bei täglichem versetzen absolut ok.
LG,
Ingmar
Der Hofhuhn-Blog
Juli 23, 2018 @ 2:36 pm
[…] habe ich es mich noch nicht ganz getraut, sie draußen zu haben. Der aktuelle Schlupf hat einen Chicken Tractor mit Stromzaun drumherum und einem sogenannten „Ohio Brooder“ drinnen. Der Ohio Brooder […]
Endlich vorgestellt: das Hofhuhn-Projekt – Der Hofhuhn-Blog
Juli 23, 2018 @ 2:40 pm
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