Hofhuhn on Tour: La Ferme Schmitt (FR)
Als Lebensmittel-Schaffender mit Liebe zu gutem Essen ist der Blick über die Grenze nach Frankreich nicht unbedingt die ausgefallenste Idee. Trotzdem war der Besuch bei der Ferme Schmitt im elsässischen Bischoffsheim für mich ein Blick in eine ganz neue Welt. Zu diesem Text gibt es einen Prolog
Neue Vorbilder gesucht
Mit meinem Hofhuhn-Projekt fühle ich mich oft ein bisschen wie ein Pionier. Fast alle Informationen muss ich mir irgendwo selbst zusammensuchen. Gleichzeitig ist es aber nicht so, dass ich das Rad neu erfinden, sondern eher ein bisschen zurückdrehen möchte. Hier in Deutschland läuft sehr viel nach „Schema F“ und vor allem in der Hühnerhaltung gibt es wenig verschiedene Ansätze. Da sind die Franzosen ein bisschen vielfältiger. Auf die Ferme Schmitt bin ich irgendwann im Rahmen meiner Recherche für das Hofhuhn-Projekt gestoßen. Der Besuch dort war interessant und sehr lehrreich. Es hat mir vor allem eines gezeigt: auch kleinteilige Geflügelhaltung für Gourmetprodukte findet nicht so einfach nebenbei statt, sondern ist sehr professionell. Gleichzeitig ist es aber auch kein Hexenwerk.
Erstmal bin ich aber zweieinhalb Stunden mit dem Auto gefahren. Wir wohnen ja fast an der französischen Grenze, nach Straßbourg war es aber dann doch eine kleine Reise. Wie ich die Zeit genutzt habe? Ich habe alle Folgen vom „Schwätz der Woche“ gehört. Dem Podcast des Wanderschäfers Sven de Vries. Die berührenden und unglaublich ehrlichen Geschichten und Episoden beruhigten mich. Ehrlich gesagt wusste ich nämlich überhaupt nicht, was mich erwarten würde. In den zehn Monaten, die ich mit Gilbert, dem Chef der Ferme Schmitt, versucht habe einen Termin zu finden, habe ich über die Facebookseite zwar einen kleinen Eindruck in ihre Arbeit bekommen, eigentlich hatte ich aber nur ein Interesse: Elsässer Hühner. Ja. Der Grund, warum ich mich auf den Weg nach Frankreich gemacht habe waren Hühner. Bei der Recherche über Hühner habe ich nämlich die Ferme Schmitt gefunden. Gilbert und ein paar Mitstreiter haben sich zur Mission gemacht, ein altes, regionales Zweinutzungshuhn zu einer regionalen Spezialität zu machen: das Elsässer Huhn. Eng verwandt ist es mit meinen Rheinländern. Die hatte ich allerdings damals noch gar nicht. Ich war erst auf der Suche nach allen verfügbaren Informationen über Rheinländer Hühner, zur Not eben auch im französischen Internet.
Typisch elsässisch
Die Ferme Schmitt liegt am Ortsrand des kleinen Elsassdorfes Bischoffsheim in der Nähe von Straßburg. Schon fast nur mehr von Feldern umgeben fragte ich mich gerade, ob die Adresse die ich habe überhaupt stimmt. Plötzlich, links hinter einer Baumreihe dann aber ein größerer und professionellerer Komplex als ich es erwartet hätte. Irgendwie hatte ich die Geflügelvariante einer alten Fromagerie erwartet, es sah aber mehr nach einem kleinen Logistikzentrum aus, wenn es sowas gibt: ein schlichtes, modernes Betongebäude. Zentral der Laden, rechterhand ein Eingang für Mitarbeiter und linkerhand große Schuppen, die sich später als Ställe herausstellen sollten. Gilbert und seine Familie haben sich ein kleines Imperium aufgebaut. Wenn es sowas gibt. 25 fest angestellte und 25 Teilzeitkräfte verarbeiten im Durchschnitt jede Woche 250 Enten und 30 Gänse zu einer beeindruckenden Bandbreite regionaler Spezialitäten. In die Kategorie „Feinkost-Convenience“ würde ich die meisten Produkte der Ferme Schmitt jetzt einfach mal ketzerisch zusammenfassen: es geht vom frischen und gefrorenen Fleisch zur Minisalami mit Edelschimmel, über verschiedenste Pasteten und Blätterteiggebäck zur Spezialität des Hauses: Gänse- und Entenstopfleber. Dazu später mehr.
Etwas verschüchtert stand ich nun im Laden, aus dem Menschen tütenweise Leckereien zu ihren Autos mit deutschen und französischen Kennzeichen hinaustrugen. Ich wusste nicht genau was ich sagen sollte. „Moin, ich bin der Ingmar, ich bin mit dem Chef des Ganzen verabredet“ kam mir plötzlich bisschen plump vor. Vor allem, weil ich ja nicht einmal genau wusste, auf welcher Sprache ich anfangen sollte. Deutsch? – in Frankreich? Englisch? – in Frankreich? Französisch? – ich? Glücklicherweise kam Gilbert durch die Tür und winkte mich aus dem vollen Laden. „Hallo, willkommen!“ ertönte es vielversprechend-routiniert auf Deutsch. Und ja. Meine Sorgen waren absolut unbegründet: Elsässer sprechen anscheinend oft sehr gut Deutsch. Selbst die junge Frau hinter der Theke im Laden konnte ein paar Brocken Deutsch, wie ich später herausfand.
Tour de la Ferme
Der erste Gang führte zu den Hühnern, wegen derer ich ursprünglich nach Frankreich gefahren war. In einem weitläufigen Gehege lief es nun: das lang ersehnte Poule d’Alsace. Mehrere hundert Stück. Pechschwarz und sehr agil. Hähne und Hennen. Zur Vermarktung erklärte mir Gilbert, dass er die Tiere nur im Ganzen verkaufen würde. Keine Teilstücke. Er wolle sie an Menschen geben, die etwas mit ihnen anfangen könnten. Das habe ich erst später verstanden, als ich jemandem über die Schulter habe schauen können, der etwas mit richtigen Hähnen anfangen konnte. Wenn sich jemand ein ganzes Tier anschaut und gleich für die verschiedenen Teilstücke verschiedene Ideen zur perfekten Zubereitung hat.
Die Schmitts bewirtschaften insgesamt 27 Hektar. Gilberts Bruder macht die Landwirtschaft und zieht die Enten vom ersten Tag an auf, Gilbert kauft die aufgezogenen Tiere von ihm, managt den Stopfstall und verfüttert das Getreide, dass auf den Flächen angebaut wird. Insgesamt 13.000 Enten und 1.500 Gänse werden jedes Jahr aufgezogen und verarbeitet. Die Zahlen klingen erstmal ziemlich groß, sind allerdings wirklich überschauber, wenn man dran denkt, dass über 50 Menschen dort arbeiten. Geschlachtet wird einmal die Woche. Die restliche Woche verarbeiten die Mitarbeiter die Schlachtkörper zu verschiedenen Produkten weiter.
Klein und professionell
Auf einem so professionellen Geflügelbetrieb verwundert es wahrscheinlich wenig, dass auch das Zweinutzungshuhn-Projekt etwas größer angelegt ist als bei mir. 1500 Tiere, Hennen und Hähne werden jedes Jahr vermarktet. Eier spielen im Gegensatz zu meinen Vorstellungen des Hofhuhn-Projektes keine Rolle. Der Betrieb ist auf Geflügelfleisch ausgerichtet. Die Tiere werden als Eintagsküken von einer Zuchtstation geholt, die im Auftrag der Poule d’Alsace-Initiative die Selektion der Elterntiere und deren Haltung übernimmt. Im Gespräch merkte man aber, dass Gilbert nicht abgeneigt wäre, an dem Punkt mehr Verantwortung in die eigenen Hände zu nehmen. Geschlachtet werden die Tiere selten unter einem Alter von 22 Wochen, also knapp 170 Tagen, tendenziell eher älter. Das liegt am aktivitäts- und fütterungsbedingt langsamen Wachstum und dem Verzicht auf die wenig tierfreundliche Endmast in engen Käfigen, die bei der Produktion hochpreisiger französischer Brathühner die Regel ist. Interessant findet Gilbert die Idee, die Tiere über 230 Tage alt werden zu lassen. Aktuell ist das aber aus Organisationsgründen nicht möglich. Das erklärte Ziel ist, den Tieren mehr Fett anzufüttern. Ohne Übersee-Soya und eine beengte Endmast ist das allerdings keine leichte Aufgabe. Gemeinsam mit Kollegen wurde aber schon eine Anlage angeschafft, um heimisches Soya vor dem Verfüttern an die Tiere rösten zu können.
Die Ferme Schmitt bestreitet in der Woche 25 Märkte, an denen sie ihre Produkte verkaufen. Teilweise auch in Deutschland. Verkauft werden hauptsächlich die eigenen Produkte, eine kleine Rolle spielen aber auch Spezialitäten wie Kaninchen oder Tauben.
Die Einrichtung der Firma und die Abläufe in der Produktion sind hochprofessionell. Trotzdem scheinen die Mitarbeiter einen angenehmen Arbeitsplatz zu haben. Das war jedenfalls der Eindruck bei meiner Tour durch die Anlage. Von der Schlachtstraße geht es über verschiedene Räume in denen die Schlachtkörper heruntergekühlt, auseinandergenommen und weiterverarbeitet werden, an Backöfen und Brühkesseln vorbei zu Verpackungsmaschinen und Kühl- und Lagerräumen. Die Produkte sind, wenn sie das Haus verlassen schick verpackt und ausgezeichnet.
Schwieriges Einordnen
Bei der Tour durch die Halle schwankte ich immer wieder zwischen Bewunderung und der Frage, wie handwerklich das denn jetzt alles noch ist. Mein Schluss war am Ende, dass es zwar um einiges größer ist als eine Dorfmetzgerei, der Umgang mit den Produkten trotzdem der gleiche ist. Die Ferme Schmitt hat die handwerkliche Herstellung hochwertiger Geflügelprodukte stark professionalisiert, ist den Wurzeln allerdings immer noch treu. Gilberts Engagement in der Slow-Food-Bewegung beweist das. Dass die elsässischen Blätterteigkunstwerke von milde lächelnden älteren Damen in verrußten Küchen hergestellt werden ist halt eher als Illusion einzuordnen. Irgendwo zwischen groß und klein ist die Ferme Schmitt.
Der Stolperstein meines Frankreichbesuches war Foie Gras. Als Foodie und Ökobauer der ich bin, ist Enten- und Gänsestopfleber nichts, an dass ich abends vorm Einschlafen noch denke. Freunde von mir, die eher der Gourmet- als der Foodieecke zuzuordnen sind, sind da anders. Ich werde meinen Gedanken zu Foie Gras bei Gelegenheit einen eigenen Post widmen.
Den Besuch bei der Ferme Schmitt kann man auf jeden Fall als inspirierend bezeichnen. Auch wenn ich nicht beabsichtige, je einen solchen Durchsatz an Tieren zu haben, war ich doch einfach angetan von der schlichten Professionalität, mit der Gilbert seinen Betrieb führt. Man merkt, dass er seine Sache versteht, aber immer auf der Suche nach einer besseren Lösung für Mensch und Tier ist. Das Beispiel Stopfleber doch nochmal aufgegriffen: wenn es bei einem solch unnötigen Vorgang wie dem Stopfen von Enten und Gänsen noch Graustufen gibt: die Foie Gras aus Bischoffsheim ist den Aussagen zufolge durchaus dem helleren Spektrum zuzuordnen. Die Stundenleistung eines Stopfers ist hier halb so hoch wie in einem industriellen Betrieb, auch ist die ins Tier reingezwungene Portion pro Durchgang geringer und wird tierindividuell angepasst. Der Anteil an Tieren mit Stopfverletzungen, also geplatzten Mägen, ist sehr gering. Es wird nur an einem Tag in der Woche geschlachtet und die Mitarbeiter am Schlachtband sind die selben, die die Tiere anschließend zerlegen und weiterverarbeiten, keine Fließbandarbeiter.
Auf ein Wiedersehen
Ich werde auf jeden Fall wiederkommen. Im Frühjahr wird der Betrieb um einen Bio-Zertifizierten Tochterhof erweitert. Bei meinem Besuch im Oktober haben wir auf der wirklich ausführlichen Führung so viel Zeit verplempert, dass wir es nicht mehr geschafft haben, Gilberts Mitstreiter bei dem Hühnerprojekt zu treffen. Auch das ist ein Ziel für mich. Sie sind eher engagierte Hobbyhalter. Ihr Blick auf den professionellen Ansatz Gilberts und wie sie die Entwicklung des Hühnerprojektes über die Jahre wahrgenommen haben, interessiert mich sehr.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich den Besuch für mich in zwei Teile breche: zum einen die sanfte und interessierte Art, mit der Gilbert im Gespräch auch mit meinen kritischen Fragen umging, die tollen Produkte, die mit großem Aufwand hergestellt werden, der große finanzielle Einsatz, mit dem sich den Elsässer Hühnern verschrieben wird und im Gegensatz dazu das Stopfen der Tiere. Für mich persönlich ist eine Zwangsfütterung ein absolutes Unding. Auch bei uns in der Milchwirtschaft „drenchen“ hochambitionierte Bauern ihre Kühe die ersten zwei Wochen nach dem Abkalben, um sie davor zu bewahren in ein körperliches Loch zu fallen, wenn sie damit anfangen Milch zu geben. So etwas widerspricht einfach meiner Vorstellung dessen, was wir Menschen unsere Nutz- oder Kulturtieren antun und abverlangen dürfen. Gleichzeitig ist Foie Gras für einige Leute eine „geile Sauerei“, wie ich es mal jemanden habe nennen hören und es gibt genug Menschen die nicht drauf verzichten möchten. Die Produktion ist für die Tiere immer mit Angst und Schmerzen verbunden. Sie wachsen in großen Gruppen auf und sind direkten Kontakt mit Menschen nicht gewöhnt. Die letzte Woche oder die letzten zwei Wochen werden sie in kleinen Gruppen gehalten und mehrfach täglich kommt jemand, der sie sich, auf einem Hocker sitzend, zwischen die Beine klemmt und ihnen einen Schlauch in den Hals stößt. Ich persönlich weiß nicht genau, wie das ein Genuss sein kann.
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