Die letzten Jahre bin ich schon etwas herumgekommen und habe an verschiedenen Orten verschiedene Menschen kennengelernt. So unterschiedlich die Leute dann doch immer waren und so wenig die Klischees im Einzelfall stimmten, hab ich doch immer einen recht starken Eindruck gehabt, was für unterschiedliche Schläge Menschen die unterschiedlichen Gegenden hervorgebracht haben.
So fand ich, dass die Niedersachsen einfach Swag haben, cool sind. Zumindest die, die ich aus dem westlichen Niedersachsen kennen gelernt habe; Osnabrücker Land, Oldenburg, Emsland. Die Norddeutschen haben ein großes Selbstbewusstsein und wissen genau was ihnen zusteht. Die Schweden waren tendenziell freundlich aber auch oft ein bisschen oberflächlich und die Hunsrücker und Saarländer, mit denen ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, haben etwas ungemein pragmatisches. Sie haben oft nicht viel, aber es geht ihnen damit trotzdem genau so gut wie allen anderen.
Den Eindruck hatte ich auch, als ich zwischen den Jahren mit meiner Freundin Marieke den Hofladen Maurer in einem Vorort von Saarbrücken besuchte. Die Vorgeschichte war die, dass einige Betreiber von Mobilställen das Gefühl hatten, dass ich ihnen ans Bein pinkeln möchte,
als ich einen Text mit meinen Kritikpunkten an mobilen Stallkonzepten auf meinem Blog veröffentlicht habe. Aus der Gruppe, die sich auf Facebook zu einer Diskussionsrunde zusammenfand, entstand der Termin bei Claudia Maurer und ihrem Hofladen in Güdingen. Wer schon mal in Saarbrücken, oder einer anderen saarländischen Stadt war, weiß wie es in der Gegend oft aussieht. Etwas trostlos aber ganz gut in Schuss. Das Saarland erinnert mich oft an das Ruhrgebiet, die Geschichte ist ja auch eine ähnliche. Güdingen liegt praktisch hinter Saarbrücken. Am Stadtrand. Zu Frankreich hin. In den Stadtbereich zu kommen ist fast nicht möglich. Wenn man es einfach versucht, landet man fast zwangsläufig auf dem Parkplatz der saarländischen SB-Supermarktkette Globus. Es ist wirklich nicht einfach dem zu entgehen.
Blick ins Gemüseregal
Hat man es aber bis zu dem kleinen Lädchen geschafft, lösen sich die meisten der zugegebenermaßen etwas zwiespältigen Eindrücke des Weges dorthin in Wohlgefallen auf. Der Stadtteil lebt hinter den tristen Fassaden. Wir sind eine halbe Stunde vor Ladenschluss um 13 Uhr aufgeschlagen, um uns mit Claudia Maurer zu unterhalten, bevor wir noch einen Abstecher zu den Hühnern machen wollten. Der kleine Laden war sehr bunt bestückt. Sie erzählte, wie sich die ursprüngliche Idee von regional und saisonal, eigentlich auch ganz gerne Bio, immer weiter in Richtung eines Tante-Emma-Hofladens entwickelte. Schwungrad der letzen Jahre waren die Hühner. Meinen kritischen Punkten über die Mobilställe, denen der Besuch ja zu verdanken war, habe ich einschränkend vorangestellt, in welchen Fällen eine mobile Hühnerhaltung super passt:
Wenn zum Beispiel kein vernünftiges Stallgebäude mit Auslaufanbindung verfügbar ist, nicht gebaut werden darf, die Tiere gar nicht direkt am Hof stehen sollen, oder auch nur eine schnelle, einfache und überschaubare Lösung für eine Herde Legehennen gefunden werden soll, ist das Hühnermobil die perfekte Lösung.
Das passt auf die Hofstelle der Familie Maurer wie die Faust aufs Auge. Hinter der Fassade des Hofladens an der Straße und einem großen Wellblechtor verbirgt sich ein Hof, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint; rundherum eingeschlossen von den benachbarten Gebäuden. Als ich klein war, gab es bei uns noch überall Landwirte, die im kleinen Stil ein paar Tiere in Hinterhofgebäuden hielten, solche Höfe habe ich aber bestimmt schon fünfzehn Jahre kaum mehr gesehen.
Auch wenn sich Claudia Maurer dem wachsen-oder-weichen-Duktus der letzten Jahrzehnte entgegenzustemmen versuchte, war die Hofstelle auch der kleinteiligen, von Direktvermarktung geprägten Landwirtschaft entwachsen. Ich fand es sehr beeindruckend, wie sie die verschiedenen Verwandlungen beschrieb, die der Laden über die Zeit durchmachte, bis er schließlich die gegenwärtige Form fand. Der oben beschriebene Pragmatismus: keine Angst vor Arbeit und keine Angst vor Veränderung. Das zeichnet die Menschen im deutsch-französischen Grenzgebiet aus.
Blick in die Fleischtheke
Gegenüber des Ladens, der auch ein Friseur, ein Metzger oder ein Radio-TV-Hifi-Händler hätte sein können, steht ein Eierautomat. So ähnlich wie ein Getränkeautomat am Bahnhof, nur ohne runterfallen der Waren und halt für Eier. Im Laden stehen links in der Ecke Eierhorden aus Plastik, in die sich die Kunden selbst ihre Eier in 10er oder 6er-Kartons packen können. Der Rest des Ladens ist eine Mischung aus Geschenkelädchen mit Fleischtheke, einer kleinen Bibliothek, Nudelmanufaktur und Gemüsehändler. Vielseitig aber nicht wahllos. In Bio finden sich nur Zitronen, dafür aber ein paar einfache Fertiggerichte, ein bisschen Wein, ein paar günstige Säfte, Süßigkeiten, Sauerkonserven und Likör. Tante Emma trifft seine Kunden 2018 – und auch wir sind ein paar von ihnen begegnet.
Wie vorhin beschrieben: am Globus führt in Güdingen kein Weg vorbei. Auch wenn man Güdingen bei Google eingibt, ist Globus der erste Ergänzungsvorschlag.
Aber die modernen SB-Warenhäuser haben ein Manko: die nicht mehr ganz so kaufstarke und nicht mehr ganz so mobile Bevölkerungsgruppe der älteren Menschen kommt nicht gut mit den weitläufigen Geschäftshallen vor der Stadt zurecht. Diejenigen, die vielleicht nur drei Eier kaufen, vielleicht nur zwei Scheiben Wurst, aber ihren eigenen Eierkarton mitbringen und ihre eigene Einkaufstasche. Das sind die Leute, die noch in den Talstraßen von Güdingen leben. Sie kommen zu Fuß, mit oder ohne Rollator, bleiben auf ein Pläuschchen oder auch nicht und halten so den letzten Tante-Emma-Laden am Leben. Einem Tante-Emma-Laden der bewusst barrierefrei gestaltet ist. Sie haben zwar kein Interesse an Bio-Produkten, dafür aber an Metzgerwurst. Die benachbarte Metzgerei hat zu – die Wurstküche ist aber noch angemeldet. Einmal in der Woche gibt es frisches Fleisch und Wurst. Vor allem den im Saarland heißgeliebten Fleischkäs und das Nationalgericht Lyoner. Die Schweine kommen aus der Region, die Rinder vom eigenen Hof. Als Jungtiere zugekauft, laufen sie im Sommer auf Wiesen im Umland und stehen im Winter in den alten Ställen der Hofstelle im Dorf. Ungenutzt bleibt nichts. Auch nicht die Althennen der momentan zwei Mobilställe. Sie gehen als Suppenhühner nach und nach über die Theke. Das klassische rein-raus-Verfahren, in dem der gesamte Bestand auf einmal gemerzt wird, ist bei Familie Maurer nicht gewünscht. Dafür kommt demnächst das dritte Hühnermobil, denn – was mich auch sehr beeindruckt hat: alle Eier der zwei Mobilställe mit jeweils 250 Hennen verkaufen sich über Hofladen und Eierautomat. Ohne Wiederverkäufer, ohne Werbung. In Güdingen, zwischen Saarbrücken und Frankreich, hinterm Globus auf der linken Seite.
Nicht nur hinter der Theke aktiv: Claudia Maurer
Vielleicht unterschätzt man Güdingen aber auch. Vor allem unterschätzt man aber auch leicht Claudia Maurer. In dem ganzen Gespräch über die Herausforderungen, die es mit sich bringt, den ganz eigenen Hofladen zu etablieren, ist die Landwirtschaft im Gespräch ganz in den Hintergrund gerückt. Nebenbei bewirtschaftet sie mit ihrem Mann nämlich noch einen 60-Hektar-Betrieb. Nicht, wie man jetzt vielleicht denkt, „an der Seite ihres Mannes“, zuarbeitenderweise, sondern als Schwungrad, Hand und Hirn des Betriebes. Die Hühner, die wir nach einem kleinen Einkauf nach Ladenschluss besucht haben, stehen nicht am Hof, sondern ein paar hundert Meter den Berg hoch. Dort oben, zwischen Reihen von Streuobstbäumen liegen handtuchgroße Flecken von Acker- und Grünland und man sieht mehr und mehr von dem, was Gündingen auf den ersten Blick nicht hat zeigen wollen: es ist wirklich hübsch hier. Es ist das Gassigeh-Gebiet der suburbanen Saarbrücker Schickeria, die an den Hängen über der Saar ihre Häuser hat und ihren Hunden den Auslauf dort gewährt, wo die Flurbereinigung nie einen Fuß hingesetzt hat. Manchmal sind es keine 15 Meter Acker von Baumreihe zu Baumreihe. Das Wintergetreide auf dem Streifen ist aber gesät und hinter der nächsten Reihe Apfelbäume stehen die zwei Weiland-Mobile. Das Bild kennt inzwischen fast jeder und auch hier sind es die etwas ruhigeren und widerstandsfähigeren braunen Lohmann-Hybriden, die dankbar sind, dass ihnen zwei Rundballen Stroh in den durchgeweichten Auslauf gestellt wurden. Die Gassigeher mussten sich vor ein paar Jahren erstmal wieder daran gewöhnen, dass in ihrem Naherholungsgebiet wieder tagtäglich Landwirtschaft mit Traktor und Elektrozäunen stattfindet, sie haben wohl aber Gefallen daran gefunden. Jedenfalls wurden wir freundlich gegrüßt, als wir im schneidenden Wind und beginnenden Schneefall bei den Hühnern standen.
Ich bin begeistert vom Hofladen Maurer, der gefühlt mitten in der Stadt liegt und so schwer zu umreißen ist. Wenn es keine Biosiegel gäbe an denen man sich gerne als Indikator für eine „gute“ oder „richtige“ Landwirtschaft entlanghangelt, dann wäre genau das mein Idealbild von Landwirtschaft. Ein kleiner Betrieb, gut organisiert und mit einer ganz guten Verkehrsanbindung. Mitten in der Stadt halt, aber auch ein echter Hofladen. Eine starke Frau mit vielen Ideen, viel Pragmatismus und einem großen Durchhaltevermögen. Und Nudeln. Ich hab die Nudeln erwähnt, aber sie sind im Text viel zu kurz gekommen. Als Eierkunde unterschätzt man sehr, wie viele Eier entweder nicht „Handelsklasse A“ sind, oder aus dem dämlichen Größenraster von S bis L, ab und zu XL, herausfallen. Was tun damit? Manche gehen an die Industrie, manche gehen an die Gastronomie, manche werden einfach weggeschmissen. Nicht so bei Claudia Maurer. Hier gibt es Nudeln. Verschiedene Formen, verschiedene Farben, aus Weizen, aus Kichererbsenmehl, zum so essen oder für in die Suppe. Wer sich für einen Urlaub ins hintere Saarland verirren sollte, oder auf dem Weg ins malerische Lothringen, oder vielleicht auch beim Besuch der Eltern der Freundin: macht einen Abstecher zum Hofladen Maurer. Wenn ihr es am Globus vorbeigeschafft habt, ist er auch einfach zu finden. Gleich an der Hauptstraße auf der linken Seite. Klare Empfehlung und lieben Gruß!
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