Hofhühner für solidarische Landwirtschaft
Wertschätzung für Lebensmittel steigt, je mehr man sich mit dem Herstellungsprozess beschäftigt. Das ist zumindest meine Erfahrung. Gleichzeitig braucht es für die Umsetzung konsequent-alternativer Projekte einen großen allgemeinen Wunsch nach Veränderung und Wertschätzung für, vielleicht aufwändiger produzierte, Produkte. Nirgends habe ich beobachten können, dass Wertschätzung, gewünschte und realisierte Veränderung so stark Hand in Hand gingen wie in Solidarischen Landwirtschaften.
Das Hofhuhn-Projekt wurde zu meiner Lehrzeit auf einem CSA-Hof geboren. CSA steht für „Community Supported Agriculture“ und ist sowas wie der amerikanische Originalbegriff derSolawi. Solidarische Landwirtschaften versuchen Dinge anders zu machen. Die Mitglieder*innen zahlen einen monatlichen Beitrag, der in der Summe aller Beiträge den finanziellen Aufwand der Hof-, bzw. Gärtnereibewirtschaftung deckt. Dadurch sind die Gärtner*innen und Landwirt*innen in der Lage, marktunabhängig zu arbeiten. Für jemanden, der sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, ist das schwer vorstellbar. Falls du dir gar nichts drunter vorstellen kannst: Das Thema Solawi habe ich in Folge drei meines Podcasts behandelt.
Netzwerk Solidarische Landwirtschaft
Communitysupported.org
Solidarische Hühnerhaltung mit Hochleistungstieren?
Viele Solidarische Landwirtschaften setzen auf Hühnermobile. Die haben zwei Vorteile: Zum einen gelten sie als sehr hühnerfreundliche Haltungsmethode, zum anderen kann man sie als Komplettpaket kaufen: neben dem Stall bekommt man von den Händler*innen auch Kontakte für den Kauf der Legehennen, des Futters und zu Berater*innen für Hühnerhaltung. Ein Feststall muss dagegen immer wieder individuell von Architekten und Stallspezialisten geplant werden und bedeutet sehr viel mehr Aufwand und Einarbeitung in der Vorbereitung. Durch die gute Öffentlichkeitsarbeit der Mobilstallbetreiber-Szene ist vielen Menschen nicht bewusst, in welche Mühle sie sich mit dem Kauf von Hybridlegehennen begeben. Die Hochleistungstiere müssen jedes Jahr ausgetauscht werden. Die Ställe sind zwar großartige mobile Lösungen, allerdings immer noch mobile Lösungen, was man teilweise erst während der täglichen Arbeit in solchen Ställen so richtig merkt. Beispielsweise wenn es ans Futter nachfüllen geht, oder festgestellt wird, dass Dinkelspelze in Nestern bisschen unangenehm werden, wenn die Eier der Tiere gegen Ende ihrer Legeperiode dünnschalig und zerbrechlich werden. Bauliche Veränderungen, wie der Einbau von Abrollnestern, werden dann von der Herstellerfirma selten noch begleitet.
Was kann Solawi bewirken?
Die Idee der Solidarischen Landwirtschaft ist eine echte Veränderung. Die Bäuer*innen und Gärtner*innen sollten möglichst einen Mindestlohn erhalten (was momentan in der ökologischen Landwirtschaft ein hehres Ziel ist), die Äcker sollen schonend und humusaufbauend bewirtschaftet werden (was für viele Gärtnereien rein finanziell nicht möglich ist) und die Tiere – so es denn welche geben soll – sollen tiergerecht gehalten werden.
Wenn man sich intensiver mit der Hühnerhaltung beschäftigt merkt man, dass sich die aktuelle ökologische Haltung und die konventionelle Haltung in vergleichbaren Systemen (beispielsweise dem Mobilstall) nur am Tierbesatz und dem Siegel auf dem Futter unterscheiden. Eingesetzt werden meist die gleichen Linien, die nach der gleichen Zeit ausgetauscht werden und die alle mit der gleichen Futterration gefüttert werden müssen: hochintensivem Legefutter, das es den zierlichen Tieren ermöglicht, genug Energie aufzunehmen, um jeden Tag ein Ei zu legen. Variieren kann man in der Haltung wenig. Weicht man vom Protokoll ab, führt andere Futtermittel ein oder riskiert sogar, die Hennen länger als die maximalen 14 Monate zu halten, fällt das Kartenhaus in sich zusammen und es wird für Mensch und Tier unschön. Der Parasitendruck im Stall steigt, weil er für eine jährliche Grundreinigung ausgerichtet ist, die Tiere sind darauf konditioniert, bereits im ersten Legejahr so große Eier zu legen, wie andere Hühner erst mit zwei oder drei Jahren legen würden, scheitern also regelmäßig an den eigenen Eiern. Das heißt, Eier bleiben im Tier stecken oder gehen sogar im Legetrakt kaputt. Krankheiten kommen zum Vorschein, in der der regulären Lebensdauer nicht auftreten würden. Wenn vorhanden, würden sie mit den Tieren in die Suppe gehen. Die Hühnerhaltung aus dem Fertigpaket funktioniert nur so lange, wie man sich ans Protokoll hält und dieses Protokoll ist in meinen Augen etwas fragwürdig, wenn man versucht ökologische Hühnerhaltung mit den meisten anderen Bereichen der ökologischen Landwirtschaft auf einen Nenner bringen.
Mehr Hofhühner auf Solawi-Höfe!
Deswegen glaube ich, dass mein Hofhuhn-Projekt gerade auf Solawis eine große Verbreitung finden kann. Der Wunsch nach Veränderung lebt in jedem Mitglied und auch die generelle Bereitschaft, sich selbst und die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen. Auch engagieren sich oft Menschen, die bereit sind, sich in komplexere Themen hineinzuarbeiten. Hühnerhaltung, die nicht aus der Retorte kommt, braucht eben genau das: tiefergehendes Beschäftigen mit den Tieren, ihrer Zucht und ein solches Hineinarbeiten in die Fütterung, dass man in die Lage versetzt wird, mit dem zu arbeiten, was der Betrieb an Futtermitteln bietet. Solidarische Landwirtschaften haben im Gemüsebau für die Renaissance alter Sorten und Rezepte gesorgt. Ähnlich könnte es auch in der Hühnerhaltung sein. Der Verzicht auf Hochleistungstiere und den regelmäßigen Austausch der kompletten Herde wird dazu führen, dass auch die Eier und das Fleisch der Tiere (beides gehört zusammen) immer mehr ein echtes Produkt des Betriebes werden. Wenn die Tiere nicht mehr legereif zugekauft werden, sondern auf dem Hof oder der Gärtnerei schlüpfen, mit betriebseigenem Futter aufgezogen werden und dann mehrere Jahre als Legehenne dort verbringen können, sind die Eier durch und durch jene des Hofes und das gute Gefühl beim Verzehr genau dieser Produkte wird der Mission der SoLavistas gerecht: die Lebensmittelproduktion durch persönliches Engagement auf ein Level zu bringen, mit dem man leben kann, wenn man sich ernsthaft mit den Produkten beschäftigt. So wäre beispielsweise das Verständnis für die saisonbedingt geringere Legetätigkeit im Winter größer. Hennen, die länger als ein Jahr leben, passen sich in ihrem Rhythmus dem Jahreslauf an und legen zwischen Oktober und Februar weniger Eier. Im Supermarktverkauf kommt man da als Bauer in Erklärungsnöte; in Solawis entwickeln die Mitglieder ein Gefühl für die Saisonalität von Produkten.
Was ich bei meiner eigenen Arbeit auf einem CSA-Hof gemerkt habe: Viele Verbraucher*innen waren fassungslos, wie wenig sie vor ihrer Mitgliedschaft über die Produktion ihrer Lebensmittel, also der Dinge, mit der sie ihren eigenen Körper versorgen, gewusst haben. Ähnlich ist das mit den Eiern. Je mehr Menschen sich mit Hühnerhaltung beschäftigen und daran arbeiten, dezentral und unabhängig zu wirtschaften, desto mehr Menschen werden im klassischen System mit Austauschhybriden an einen Punkt kommen, in dem das System mehr Fragen offen lässt als Antworten bieten kann. Das ist der Punkt an dem man sich mit Alternativen zur Alternative beschäftigen muss und ich glaube, dass wir diese Alternative gerade auf den Weg bringen: unsere Crowdfunding-Kampagne läuft aktuell seit einer Woche und sie soll zeigen, dass die Alternative zur Alternative praxistauglich ist.
Bisschen verrückt muss man sein
Aktuell gehört ein ordentliches Maß Ignoranz dazu, die Hybridhaltung hinter sich zu lassen: Alles unter 254 Eiern pro Henne und Jahr rechnet sich nicht, sagen die Fachleute auf den Einsteigerseminaren, die von verschiedenen Trägern für Interessierte angeboten werden. In meinen Berechnungen gehe ich sicherheitshalber von 150 Eiern pro Henne aus, je nach Rasse haben sie ein Potenzial zwischen 180 und 260 Eiern pro Jahr. Eine pessimistische Rechnung macht wegen meiner Futtermittelexperimente Sinn, hat aber auch im Blick nach vorne einen großen Vorteil: Jedes weitere Ei ist zusätzlicher Gewinn.
Kauft man allerdings keinen Stall für 70.000 Euro und für 7.000€ Hühner, deren Brüder man gegen Geld irgendwo zentral aufziehen lässt, sondern richtet sich für die 7.000 Euro auf dem Betrieb gut ein, um die Tiere im Sommer über die Flächen ziehen zu lassen und im Winter im Gewächshaus zu halten, dann fallen einige bedrohliche Rechnungen der Experten in sich zusammen. Wenn man dann auch noch Tiere anschafft, die ohne teures Zukauffutter auskommen und sich in den Betriebskreislauf integrieren, dann kann man Eier genießen, die die Tiere nicht umbringen. 254 Eier sind dann kein Richtwert mehr.
Träume wahr werden lassen
Durch unsere erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne, werden wir hier auf dem Betrieb in die Lage gebracht eine Hühnerhaltung umzusetzen, die ohne Kompromisse auskommt. Respektvoll, unabhängig, tiergerecht. Das aktuell angepeilte zweite Fundingziel bringt uns zusätzlich noch in die Lage, Dinge ausprobieren zu können, die sonst nicht möglich gewesen wären und so aufzuarbeiten, dass sich jeder in eine echte bäuerliche Hühnerhaltung einarbeiten kann, der es möchte.
Vor drei Wochen hätte ich selbst noch gesagt, dass das alles ein bisschen träumerisch klingt. Nach der ersten Crowdfunding-Woche unserer auf viereinhalb Wochen angesetzten Kampagne kann ich sagen: es ist Realität. Das Bedürfnis ist da. Menschen geben Geld dafür, dass wir eine andere Form der Hühnerhaltung entwickeln und verbreiten. Das ist jetzt nicht mehr mein Traum, sondern mein fester Plan. Und sie bekommen was: zum einen Dankeschöns, die Crowdfunding-Kampagne ist kein Spendenaufruf, zum Anderen die Geweissheit, dass sie nicht nur meckern sondern auch etwas tun.
Wer weiß, was in den restlichen dreieinhalb Wochen der Kampagne noch passiert und wie viele Menschen sich beteiligen: das Hofhuhn-Projekt ist die Zukunft. Hier bei uns und hoffentlich bald auf vielen Höfen, Gärtnereien, Solawis und Market Gardens.
Hier übrigens ein Artikel von vor ein paar Monaten, als ich es umgekehrt hergeführt habe: http://blog.hofhuhn.de/crowdfunding-huhnerstall/