Eine unbequeme Wahrheit über Massentierhalter*innen
Ihr wisst, dass ich etwas gegen Pauschalisierungen und – eng damit verbunden – zu einfache Behauptungen habe. Deswegen heute mal wieder ein Text der eine differenzierte Meinung unterstützen könnte.
Okay, vielleicht noch eine weitere Sache vorweg: meine Meinung zur Verwendung des Begriffes “Massentierhaltung” inklusive einer Definition (interessanterweise der einzig klaren und differenzierten die ich kenne) gibt es in einem der meistgelesenen Artikel hier auf dem Blog.
Menschen, die mit industrieller Tierhaltung ihr Geld verdienen sind innen nicht kalt und tot. Menschen die Fleisch essen auch nicht. Ein aktueller PETA-Spot stellt mal wieder die Frage, wie man ein Tier kuscheln und ein anderes essen kann. Die Frage stelle ich mir auch. Unter anderem deswegen versuche ich einen gleichbleibend fairen Umgang mit allen Tieren zu finden und nehme weder Tiere mit ins Bett, noch lasse ich welche auf Spaltenböden schlafen. Ich versuche einen guten Mittelweg zu finden. Ich möchte nicht mit einem Hund auf dem Boden herumwälzen und ihn schmusen, um ihm im nächsten Moment die Nase in die eigenen Fäkalien zu drücken um ihm zu erklären dass er dort nicht hätte pinkeln sollen. Oder mein Pferd beim gemeinsamen Selfie mit Schlägen ins Gesicht davon abhalten an meinen Haaren zu schnuppern. Ihr merkt es. Der Widerspruch den PETA so zugespitzt formuliert zieht sich durch unseren Alltag und wir haben ihn alle schon gelebt. Ich habe übrigens weder je eine Hundenase in Fäkalien gedrückt noch einem Pferd ins Gesicht geschlagen. Ich kenne aber genug Leute die das normal finden. “Die könnte sich ja auch einfach benehmen.” Soso.
Okay, genug auf Welle gemacht. Zu meiner eigentlichen Geschichte. Oder den zwei Geschichten. Neiin: drei sogar. Die Moral die ich daraus ziehe möchte ich auch nicht aus dem Kontext gerissen und pauschalisiert haben: nicht jede*r industrielle Tierhalter ist eigentlich Tierfreund. Es gibt sie aber durchaus; Menschen, die sagen, dass industrielle Tierhaltung der richtige Weg ist tierische, Produkte zu erzeugen Gleichzeitig aber auch Hingabe und Leidenschaft für Tiere empfinden. Die Geschichten sind eher Schlaglichter. Die erste ist sogar schon mal hier auf dem Blog aufgetaucht.
Wie kleine Jungs
Es begab sich auf der “Norla” 2017. Die Norla ist die größte Landwirtschaftsmesse in Norddeutschland oder in der Nähe der Ostsee oder so. Auf jeden Fall groß. Ein Jahrmarkt für Bauern und andere Menschen die gerne Trecker gucken. Auf der Norla gibt es nicht nur Hotdogs und die neueste Technik aus der Landwirtschaft, sondern auch eine Tierschau. Zum einen werden dort moderne Züchtungen ausgestellt wie Holstein Friesian-Kühe und Limousin-Rinder, es gibt aber auch Exoten wie die Wasserbüffel vom Hof Barslund (Bilder von denen gibts hier), oder “Murray Grey”-Rinder, einer Rasse von der nicht einmal ich vorher je was gehört hatte. In einem Zelt gibt es auch eine Ausstellung der Arche Warder mit alten, traditionellen Nutztierrassen und dort, bei den Angler Sattelschweinen hat sich die kleine Beobachtung zugetragen, die mein erstes Schlaglicht ist. Am Gehege der Sattelschweine stand eine Gruppe Bauern mit glänzenden Augen und schwelge in Nostalgie. Der eine erzählte den anderen, dass sie früher auch Angler Sattelschweine hatten. “Schade, dass die so fett werden”. Gute Erinnerungen, die der Mann mit der Mütze mit “BHZP”-Aufnäher an die alte Rasse hatte. Ein Schweinehalter. “BHZP” steht für “Bundeshybridzuchtprogramm”. Ein Unternehmen, dass Sauen für die Erzeugung von Mastferkeln züchtet. “Wenn ich in Rente gehe, dann kommen wieder welche auf den Hof”. Vielleicht feuert das die Vorwürfe an, dass Bauern immer dem Geld nach gehen. Das mag vielleicht sein und auch in dem Fall zutreffen. Ich weiß es nicht. Was ich aber für mich wichtiges aus der Situation mitgenommen habe war die Erkenntnis, dass es für viele Bauern einfach nicht zutrifft, dass sie sich nicht um alte Rassen und die alte, entschleunigte und romantische Vorstellung von Landwirtschaft scheren. Ich bin mit dem Eindruck nach hause gefahren, dass Bauern in Wirklichkeit die größten Landwirtschaftsnostalgiker sind.
Ich hab das in einem Blogpost mal mit Auto fahren verglichen. Es ist so, wie euer Onkel, der immer noch von seinem alten Opel Kadett schwärmt, während vorm Haus ein viel praktischeres, neues Auto steht. Wenn er dann in Rente ist, kommt nochmal ein Alter in die Garage. Bis dahin muss es einfach einer sein der funktioniert. Das würde doch auch als Leidenschaft bezeichnet werden? Es geht zwar um Tiere und im Beispiel um Autos aber ich glaube dass die Beweggründe dahinter die gleichen sind.
Unter den Augen echter Profis
Die zweite Geschichte ist eine kurze. In den sozialen Netzwerken treffen sich viele Leute. Vor allem wenn man wie ich über den privaten Freundeskreis hinaus kommuniziert, kommen da auch immer wieder spannendde Charaktere vorbeigeklickt. So ist einer meiner Instagram-Follower gewissermaßen ein Kollege. So “wichtig”, wie ich für mein Hofhuhn-Projekt bin, so wichtig ist er für die Zucht konventioneller Legehybriden. Fast zumindest. Schon ein wichtiges Rädchen. Ein absoluter Fachmann, der mir schon ein paar Tipps gegeben hat und aus den Instagram-Fotos die ich so von meinen Tieren poste einiges herausliest und ziemlich beeindruckende Beobachtungen liefert Für mich, der ich mit meiner Philosophie ja das Problem habe, viele Dinge selbst ausprobieren zu müssen, ist der Blick eines Menschen, der in genau dem Themenbereich Weltklassewissen hat Gold wert. Auch wenn es nur aus der Ferne ist. Die genaue Funktion werde ich nicht schreiben, wir haben uns aber wirklich gut ausgetauscht und er hat von seiner Leidenschaft für Geflügel berichtet. Erzählt, dass er selbst lange Ziergeflügel gehalten hat. Tiere, die etwas anspruchsvoller zu halten und züchten sind als meine Hühner. Zwar ein Kollege, aber irgendwie auch ein Gegenspieler. Ich bin ja kein Freund der modernen Hybriden, seine Einschätzungen waren aber voller Respekt für mein Projekt, wohlwollend und mit viel Verständnis für meine Punkte. Jemand, der durch seine Position noch mehr zur industriellen Tierhaltung beiträgt als ein ganzer Stammtisch voll Legehennen-Großbetriebsbesitzer und trotzdem ein leidenschaftlicher Tierfreund.
Die Wanderung Wandas
Die dritte Geschichte ist eine aktuelle. Mein Vater hat seiner weichen Seite nachgegeben und vor zweieinhalb Jahren damit begonnen sich einen Traum zu erfüllen. Auf einem Wochenendtrip ins uns benachbarte Elsaß hat er Vogesenrinder kennengelernt. Eine tolle, alte Zweinutzungsrasse aus dem französischen Mittelgebirge. Super Rauhfutterverwerter die ohne Kraftfutter auskommen und aus deren Milch traditionell der französische Münsterkäse gemacht wird. Er hat sich von einem Bauern, der hier in der Nähe im Saarland Vogesenrinder züchtet ein Kuh- und ein Bullenkalb gekauft. Die Kälber sind inzwischen ausgewachsen und der Bulle läuft seit vergangenem Winter mit unseren Färsen mit. Färsen sind junge Rinder, die ihr erstes Kalb noch bekommen müssen. Dass Baron, so heißt der junge (Rinder-)Mann dort als Deckbulle mitläuft ist praktisch: Vogesenrinder sind etwas kleiner als unsere Rotbunten. Das heißt, dass die Kälber die aus der Kreuzung entstehen, etwas zierlicher sind als reinrassige Kälber, oder welche mit einem Fleckvieh-Vater.
Vor ein paar Wochen sind die ersten Vogesen-Kreuzungskälber geboren und waren toll anzuschauen. Schwarz mit weißen Abzeichen. Franselige Ränder an den Übergängen, aber ganz regelmäßig in der Verteilung: am Bauch und am Rücken ein weißer Streifen, im Gesicht weiß gefärbt oder zumindest mit weißen Haaren dazwischen. Wirklich toll.
Eines der Kälber haben wir an den Viehhändler verkauft. Das müssen wir ab und zu machen, weil wir keinen Platz haben alle Kälber aufzuziehen. Der Viehhändler hat das Kalb zwar mitgenommen, wollte es aber schnellstmöglich wieder loswerden weil es so zierlich war und hat es allen Bauern auf seiner Tour angeboten. Kaufen wollte es keiner, aber alle haben Fotos gemacht und an ihre Familie oder Freunde geschickt. So eine Färbung hatte noch keiner gesehen. Begeistert waren sie, hat mir der Viehhändler erzählt. Sowohl die Bauern die ihre eigenen mageren Bullenkälber von den Hochleistungskühen für einen Spottpreis an den Viehhändler verkauft haben und gerne als Massentierhalter bezeichnet werden, als auch die Bauern die die kleinen Kälber übernehmen und in engen Boxen mit Spaltenboden aufziehen um sie als “Fleisch vom Jungbullen” im Discounter enden zu lassen. Ebenfalls keine Lieblingsmenschen von Landwirtschaftskritikern.
Am Ende hat es aber doch ein Hof gekauft. Ein Bio-Betrieb mit dem wir sogar zusammenarbeiten hat es genommen und jetzt läuft es dort mit und wird von einer Amme großgezogen. Happy End, oder?
Damit bin ich am Schluss der drei Geschichten. Wer meinen Blog und den Podcast schon ein bisschen verfolgt, wird wissen, dass ich überhaupt kein Verfechter der industriellen Tierhaltung bin. Ganz im Gegenteil. Teil meiner Mission ist, Menschen die Informationen zu geben die sie brauchen um zu erkennen wie durch und durch krank das System ist. Vom Bauernhof bis zum Küchentisch. Ich bin aber, wie einleitend schon gesagt, dagegen, Menschen pauschal dafür zu verurteilen, dass sie es anders sehen. Industrielle Tierhaltung zu betreiben finde ich falsch, die Menschen, die dort die Rädchen im Getriebe sind sind aber auch eben das: Menschen. Und Menschen sind kompliziert, das kennen wir alle. Wie gesagt. Wir alle kennen jemanden, der*die die Katze lieber in der Wohnung hält, obwohl das für das Tier wahrscheinlich ähnlich trist ist wie ein Maststall für die Schweine – die haben immerhin noch Gesellschaft. Oder die Leute, die einfach echt immer Pech mit ihrem ________ (setze gerne ein Kleintier Deiner Wahl ein, beispielsweise Hamster, Goldfisch, Wellensittich, Chinchilla, Kaninchen…) hatten, die immer gestorben sind. Hach.
Trotzdem keine schlechten Menschen, oder?
Silvia
Oktober 3, 2018 @ 5:50 pm
Danke für den wieder mal sehr reflektieren Bericht. Man merkt deine „schwedische Zeit“ und Jante. Respektvoll gegen jeden, der einem selbst so begegnet. Tolles Projekt, übrigens, mit den Vogesenrindern!
Ingmar
Oktober 3, 2018 @ 6:36 pm
Hallo, danke, Silvia! Danke für’s Lob und auch Danke für die Motivation den Blog zu machen. Ohne unser Jahr in der Küche hätte ich es mir nicht zugetraut 🙂