Warum „echt Bio“ nicht immer geradlinig ist
Ich bin wirklich froh, dass ich auf einem Biohof geboren und aufgewachsen bin, weil ich bei dem Thema vermutlich sonst erst sehr spät zur Besinnung gekommen wäre. Das liegt nicht daran, dass die Vorteile nicht auf der Hand lägen, sondern weil mir die Pedanten und Erbsenzähler so auf den Geist gehen würden, dass ich aus Protest bei Burger King essen würde bis ich umfiele.
So aber hatte ich durch meine Eltern einen natürlichen Zugang zu dem Thema, bin mit Bio aufgewachsen, reiße jede Woche meine 50+ Stunden in dem Bereich und wähne mich auf der sicheren Seite wenn losschwadroniert wird, wie straight die Bio-Lebensführung ist. Ich muss keinem etwas beweisen (ich weiß, dass ich das im letzten Beitrag auch geschrieben habe). Ich weiß nicht, wie das die Leute machen, die mit Mitte Zwanzig in aller Zartheit beginnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ich hab Respekt davor. Hier eine Doku, dort ein bisschen Information, ein Besuch auf dem Bauernhof, die sozialen Medien, undundund. Man kommt ja nicht dran vorbei. Wer was auf sich hält zeigt heutzutage sein Essen. Am besten selbst geerntet und komplett verwertet. Man hat ein Herz für krumme Tomaten und hässliche Gurken und das ist auch gut so. Jeder postet alle paar Tage ein Bild von seinem Essen, seiner Ernte und seinem Markteinkauf. Das multipliziert mit ein paar Dutzend solcher Leute im Umfeld und man hat den Eindruck, dass jeder immer nur gesund und selbst gekocht isst. Außer vielleicht dem einen Mal, dass man sich mit ihnen auf einen Döner trifft.
Wenn ich in meinen über 25 Jahren auf Biohöfen eine Sache gelernt habe, dann, dass es 100% Bio nicht gibt. Das ist normal, das ist die Realität und es soll bitte keiner so tun als wäre es anders. Natürlich gibt es Vorschriften, was denn jetzt Bio ist, aber alleine die sind ein einziger Kompromiss. Für mich ist EG-Bio nicht Bio. Rechtlich ist es das. Aber wenn man einzelne Betriebsteile umstellen kann und Investoren auf den gesamtgesellschaftlichen Ansatz der ersten Bio-Pioniere des Landwirtschaftlichen Kurses scheißen, dann hat das mit Bio nichts zu tun. Ein Bio-Hausgärtchen dagegen dürfte sich rein rechtlich nicht Bio nennen. Auch wenn alle Vorschriften um ein X-faches übertroffen werden. Mir geht es um ein etwas entspannteres Verhältnis zu den ganzen Begrifflichkeiten. Ich kann verstehen, dass man sich an den Standarts und Labels entlanghangeln muss, um sich in dem Dickicht der verschiedenen Richtlinien zurechtzufinden. Aber glaubt es mir gerne, das perfekte Bio gibt es nicht.
Ich komme aus der Demeter-Welt, könnte also einfach behaupten, dass der höchste Standart das höchste der Gefühle sei, aber auch die Demeter-Richtlinien sind in vielen Bereichen sehr vage und der Anbauverband würde mit Sicherheit das ein oder andere Mitglied verlieren, wenn die Standarts auch nur geringfügig nachgeschärft würden. Der Standart ist ein sogenannter Mindeststandart, das sind die Richtlinien von EG-Bio, Bioland, Naturland, Ökoland genau so und es gibt diejenigen die im Rahmen ihrer Arbeit unter anderem diese Standarts erfüllen und es gibt diejenigen, die diese Standarts erfüllen und damit gut. Ich will damit nicht sagen, dass man sich nicht an den Demeter-Richtlinien orientieren soll, wenn man versucht die besten Produkte zu bekommen, sondern ich möchte sagen, dass man nach den Erzeugern suchen soll, die bei der Hofführung erklären, was sie sich hiermit und dabei gedacht haben und nicht nur bei jeder kritischen Frage hoch und heilig versprechen, dass es aber auf jeden Fall den Standarts entspricht.
Mit diesem Exkurs ins Backstage der Lebensmittelproduktion im Hinterkopf können wir wieder zum Thema kommen, warum „echt Bio“ nicht immer geradlinig ist. Ich bin überzeugt, dass strikte Vorschriften nur scheitern können. Klar, mancher braucht klare Vorschriften, ein klares gut und böse, das Schwarzweißgedöns. Aber das soll bitte jeder nur für sich selbst festlegen (außer man ist Fitness-Youtuber und verdient damit eine Heidenkohle, dann natürlich auch für andere). Was ich meine, ist schon in der Bibel ein Thema: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Wenn jeder Mensch ein selbstkritischer Denker wäre, dann hätte der Satz den gesamten Blogeintrag ersetzen können, ich möchte ihn aber mal doch ausführen.
Mir geht es darum, dass jeder nach seiner Fasson glücklich sein darf. Da geht es von großen Gesellschaftspolitischen Themen bis hin zu den kleinen zwischenmenschlichen Sticheleien. Irgendwie muss man doch irgendwo etwas finden, womit man besser ist als die Anderen. Aber es gibt immer irgendwen, der straighter, stärker, konsequenter und besser ist. Die Leute, die Bio beim Discounter kaufen sind keine schlechteren Menschen, als die, die Bio beim Supermarkt kaufen, als die, die Bio im Bioladen, beim Marktstand, beim Bauern oder bei der Oma an der Straße kaufen. Sie sind nicht weniger überzeugt, als die, die einen eigenen Garten haben, oder vielleicht ihre Karriere abgebrochen haben um auf Gärtner umzuschulen und eine CSA zu gründen. Oder besonderer als diejenigen, die konventionell essen, weil sie nicht einsehen, das doppelte zu zahlen und die Hälfte zu bekommen und dann auch noch selber kochen zu müssen.
Vielleicht schreibe ich den ganzen Text nur, weil ich ab und zu einfach Bock auf einen Burger habe. Suche Fehler in der Lebensführung meines Umfeldes und verzeihe ihnen, um nicht als einziger Versager in Gummistiefeln auf einem Demeterhof herumzufehlern. Oder ich kann eine ganz wichtige Beobachtung liefern: diejenigen, die die Standarts für sich selbst setzen, sich zugestehen diesen Standarts auch mal nicht zu entsprechen und keine Zeit für ein ordentliches Mealprep zu haben, sind die, die es auch durchziehen. Das kann man von den Fitnessfreaks lernen. Ich für meinen Teil genieße es ab und zu, mir eine Pizza zu bestellen, schön mal was vom Asia Wok. Und ich darf es nicht nur, weil ich mir jeden Tag für gute Demeter-Produkte den Buckel krumm schufte, sondern weil ich mir keine Vorschriften mache. Mir und anderen nicht. Das führt nicht dazu, dass ich nach Schnäppchen suche, wenn ich einkaufen gehe, sondern dass ein gemeinsamer Koch-Abend mit meinem Bruder, der auch auf Demeter-Betrieben aufgewachsen ist aber lieber günstig kauft, kein Fail in meiner ansonsten perfekten Karma-Bilanz ist, sondern einfach ein schöner Abend. Und ich kann sogar ein Bild davon posten ohne mich, meine Arbeit oder meine Familie zu verraten.
Was ich allerdings nicht dürfte wäre, die hart gewordenen restlichen Penny-Brötchen vom Mettfrühstück an unsere Schweine zu verfüttern. Das wäre gegen die Vorschriften von Demeter. Bei Bioland und allen anderen dagegen ginge das. Ein bisschen stänkern darf man doch. Ich habe nur gesagt, dass die Demeter-Vorschriften nicht perfekt seien, hart sind sie schon.
PS, das Beitragsbild: Demeter-Schweinefleisch (versuch mal das zu bekommen!), Demeter-Kartoffeln, fertig-Zaziki, fertig-Kräuterbutter, totgekochtes Gemüse: Grundlage eines wunderbaren Abends.