Was wir Hofmanufakturen von den Start-Ups und Händlern lernen können
Wir Bauern sind ganz gut darin, unsere Arbeit zu machen. Was ich aber oft sehe ist, dass wir uns ein bisschen davor scheuen über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Ob wir uns fachlich davor sperren von Kollegen aus anderen Bereichen oder Branchen Rat anzunehmen, oder uns für neue Wege der Vermarktung zu öffnen: manchmal müssen wir wirklich aufpassen nicht schon längst überholt worden zu sein, denn es gibt auch in unserer Branche junge wilde, die nichts von verstaubten Vorgehensweisen halten..
Vollmilch von der Mutter
Gestern Morgen hatten wir schon vorm Melken eine Diskussion. Es ging darum, welche Milch die Kälber bekommen sollen. Aktuell ist es kein großes Ding: wir haben nur zwei Kälber in dem Alter. Am Tag sind es also vielleicht 16 Liter Milch, um die es geht. Die Frage kam auf, weil mein Bruder, der sich unter der Woche eigentlich gerade meistens außerhalb des Hofes auf Fortbildung befindet, etwas unglücklich mit einem Versuch war den wir durchführen: jungen Kälbern nicht eine Woche die Milch der eigenen Mutter zu füttern, sondern zwei Wochen. Zum einen: wir sind bereits vor ein paar Monaten auf eine Woche hochgegangen, nachdem wir über Jahre – wie sonst auch üblich – fünf Tage die Milch der Mutter gefüttert haben, zum anderen haben wir vor kurzem schon ein paar andere Dinge zum Wohl der Kälber geändert, deren Effekt schwerer überprüfbar ist, wenn man gleichzeitig auch noch an anderen Schräubchen dreht.
Die Diskussion haben wir dann vertagt, weil die Milch der Kuh Wallonie, um die es geht, zufällig genau die Menge ist, die wir zum Füttern der beiden Kälber brauchen. Das hatte mein Bruder nicht auf dem Schirm. Er war davon ausgegangen, dass wir neben den 15 verfütterten Litern weitere 15 an die Schweine oder Hühner geben, statt sie zum Käsen zu schicken. Für mich war es trotzdem ein Stich. Auch wenn wir aktuell unsere Kälber unmittelbar nach der Geburt von den Müttern trennen, ist der Umstieg auf eine muttergebundene Kälberhaltung in den nächsten Jahren für mich ein absolutes Muss. Meine Gründe habe ich in Folge 10 meines Podcasts erläutert.
Wer wenn nicht wir?
Meine Laune war erstmal ein bisschen verhagelt. Nicht wegen des Ansatzes oder der Argumentation meines Bruders, sondern weil es mich auf eine eigenes Defizit gestoßen hat: ich zahle jede Verbesserung der Tierhaltung erstmal automatisch aus meiner Tasche. Hä? Ja. Wie viele sicher inzwischen mitbekommen haben, denke ich viel darüber nach, wie ich den Umgang mit den Leidtragenden der Nutztierhaltung (den Nutz- oder vielleicht besser Kulturtieren) so sehr verbessern kann, dass ich abends in den Spiegel schauen kann ohne mir etwas in die Tasche zu lügen. Da gehört für mich zum Beispiel die oben angeführte muttergebundene Kälberhaltung dazu. Klar. Wir Landwirte kontrollieren unsere Kühe in jedem Aspekt ihres Lebens. Wir bestimmen welche Tiere aufwachsen dürfen, wann sie bereit sind ihr erstes Kalb zu bekommen, wann das zweite und wann sie nicht mehr gut genug sind um weiter bei uns leben zu dürfen. Das ist eine ziemliche Anmaßung, wenn man so drüber nachdenkt. Ich finde das prinzipiell nicht falsch. Jedenfalls, wenn man diese Kontrolle dafür nutzt, den Tieren ein besseres Leben zu bieten, als sie ohne uns hätten (an dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Freund Piet bedanken, der diesen Gedanken als Antwort auf meine Frage nach Landwirtschaft ohne Tierleid gegeben hat: „Ganz ohne geht es nicht. Würde es aber auch in der Wildnis nicht: wenn wir den Tieren aber ein besseres Leben bieten als ihnen in der Natur geboten würde, dürfen wir auch davon profitieren, sie zu halten.“)
Mit einem entschleunigten und behutsameren Tierleben geht aber eine gewisse Kostenineffizienz einher. Das ist ganz natürlich. Ein Bauer mit zehn Kühen muss genau wie wir aufstehen, das Melken vorbereiten, melken, das Melken nachbereiten. Ein Bauer mit ein paar Hundert Kühen auch. Bei jedem ist aber nach der Arbeit unterschiedlich viel Milch im Tank. Trotz der vielen Handgriffe, die man für zehn Kühe genau so einmal erledigen muss wie für 200 Kühe. Das ist normal. Ich – und viele andere kleine Bauern – haben aber den Reflex, dass wir uns dafür entschuldigen möchten, dass wir mehr Geld für unsere Arbeit brauchen. Das ist wirklich nicht einfach zu überkommen. Und da kommen die Food-Startups und Händler ins Spiel. Ich habe letztens beim Abendessen neben einem Kinosbesitzer gesessen. Ich habe ihn nicht gefragt, aber ich würde Gift drauf nehmen, dass er sich nicht schlecht fühlt, von den Menschen weiter den vollen Eintrittspreis zu verlangen, wenn die Pauschale für die Vorführrechte schon bezahlt ist (wenn es denn eine Pauschale gibt, ob dem so ist, hab ich auch nicht gefragt). Ich selbst aber fühle mich schlecht, wenn ich beim Zusammenrechnen meiner Kosten schon bei einem Preis rauskomme der höher ist als im Supermarkt. Bei Brathähnchen zum Beispiel: da habe ich mich noch nicht einmal getraut, mir selbst ein Gehalt einzurechnen. Nichtmal zur Kontrolle für mich selbst. Ich weiß um die Qualität der Produkte und warum ich sie produzieren möchte, obwohl noch niemand weiß dass es sie gibt und vielleicht auch keiner danach sucht. Vielleicht nicht weiß, dass sie überhaupt nötig sind. Richtige Hähne zum Beispiel.
Wer sollte aber den Kunden erklären warum es solche aufwändigen Produkte gibt wenn nicht wir? Wir stehen jeden Morgen auf, ziehen uns um und machen uns die Hände dreckig. Wir stehen jeden Tag im Stall und garantieren, dass die Tiere so gut behandelt werden wie wir uns das vorstellen. Niemand anderes kann das garantieren. Kein Qualitätssiegel, kein Bioverband, keine gut gestaltete Verpackung oder Kampagne. Nur wir: und wir – oder ich – entschuldigen uns für die Preise, die die Arbeit schlicht und ergreifend verlangt. Wir machen die Arbeit. Wir machen die Extrameter die einfach nötig sind um ein gutes Produkt zu erzeugen. Etwas mit Seele. Etwas, dass in jedem Schritt mit Respekt behandelt wurde. Trotzdem fühlen wir uns schlecht, dass es mehr kostet als die Massenware im Supermarkt.
Auf die eigene Qualität beharren
Da kommen die Startups ins Spiel. Oder auch die Leute, die uns beim Abholen der Ware sagen, dass wir zu teuer sind und zu wenig produzieren, 20 Minuten später aber im Markt das Doppelte verlangen und von den Kunden von der Qualität vorschwärmen. Viele der Food-Startups produzieren ihre Produkte überhaupt nicht. Sie handeln auch nur mit den Produkten. Was da aber – und da glaube ich einfach den Menschen die ich aus der Szene kennengelernt habe – anders läuft ist, dass sie tatsächlich einen gewissen Anspruch an eine allgemein gute Lösung haben. Einen altruistischen Ansatz. Ich habe vor einem Jahr Hinrich von Ein Stück Land besucht. „Ein Stück Land“ verkauft Fleischpakete von Galloways die in kleineren Herden verschiedener Besitzer über Schleswig-Holstein verteilt laufen. Ihr Geschäft ist also im Grunde, hochwertiges Fleisch aus extensiver Tierhaltung von kleinen Bauern und Hobbyleuten an Menschen zu vermitteln, die unter Umständen nie erfahren hätten, dass es dieses Fleisch überhaupt gibt. Die Bauern selbst könnten für ihre paar Tiere im Jahr keine aufwändige Vermarktung betreiben. Damals hatten sie erst angefangen. Vor fünfzehn Jahren wäre das Fleisch ein Ladenhüter gewesen: mageres Fleisch von englischen Robustrindern? Viel mehr nach BSE und Undankbarkeit in der Pfanne kann ein Produkt eigentlich nicht schreien. Inzwischen hat sich das Interesse der Kunden aber geändert: Gallowayfleisch ist als Qualitätsprodukt anerkannt. Die Tiere laufen das ganze Jahr draußen, fressen nur Gras, Heu und Silage. Das Fleisch hat im Vergleich zu Fleisch aus der Getreidemast ein herausragend gutes Verhältnis von Omega-3 zu Omega-6-Fettsäuren. Nebenbei wird noch etwas für den Naturschutz getan. Die Motivation, das Startup zu gründen kam daher, dass Hinrichs Familie selbst auch ein paar Galloways hält. Vom Viehhändler oder Schlachter gibt es für die mageren, kleinen Tiere aber nur einen Spottpreis. Das, obwohl die Qualität nach heutigen Erkenntnissen und Ernährungsgewohnheiten überragend ist. Nach klassischen Preismasken der Rindervermarktung allerdings nicht.
Lina und Hinrich (ich schreibe hier die ganze Zeit nur von Hinrich, weil Lina bei meinem Besuch verhindert war, ich sie also nicht kennengelernt habe) sind aber daran interessiert, dass jeder zu seinem Lohn kommt. Das meinte ich damit, an einer allgemein guten Lösung interessiert zu sein. So bezahlen sie den Bauern fair, der seine Tiere nicht mehr irgendwo dringend loswerden muss und sie bezahlen auch den Schlachter fair, der ebenfalls davon profitiert nicht noch mit dem Fleisch handeln zu müssen. Dann bezahlen sie auch sich selbst einen fairen Lohn und heraus kommt ein Preis, den niemand zahlen würde, wenn man verschiedene Häufen Fleisch ohne weitere Erklärung nebeneinander hinlegen würde. Sie wissen aber um ihren Wert, erklären ihren Kunden was dahinter steckt, wie der Preis zustande kommt, wer in der Kette alles davon profitiert und haben Erfolg damit.
Für mich sind die Menschen, die mit Vermarktungsfähigkeiten und dem festen Willen niemanden auszunutzen in „unsere Szene“ hineinkommen echte Vorbilder. Auch wenn ab und zu der Blick für die feinen Zusammenhänge im landwirtschaftlichen Bereich fehlt (woher soll der denn auch kommen), so beleben sie doch unglaublich viel. Biedere Vermarktung über Telefonkette wird bald einfach nicht mehr existieren. Über Fleischverschicker (ich nenne das jetzt einfach mal ganz blasphemisch so) entsteht zum einen bei den Verbrauchern das Wissen darum, dass es möglich ist, Tiere vom Betrieb der eigenen Wahl klimafreundlich per Post zu bekommen (alle vier bis acht Wochen ein Paket ist klimafreundlicher als einmal die Woche mit dem Auto zum Metzger oder drei Mal die Woche zur Fleischtheke. Ich habe keine Zahlen, aber in dem Fall glaub ich einfach dran..) und zum anderen entsteht auf den Höfen das Wissen, dass das funktioniert. Das „Onlineshop“ nicht bedeutet, dass man ein Hochregallager an der Autobahn bauen muss und dass es umweltfreundliche Isolierverpackungen aus Stroh, Hanf oder Wolle gibt.
Gute Lösungen finden
Es geht drum, gute Lösungen zu finden. Zum einen sind das natürlich die hier beschriebenen Fleischpakete, die wir zum Beispiel auch anbieten. So haben wir die Möglichkeit, die paar Tiere die wir im Jahr schlachten an Menschen zu verkaufen, die sie zu schätzen wissen. Zum anderen geht es aber auch darum, überhaupt erst ein Verständnis für die Arbeit zu schaffen. In der Vergangenheit und auch noch in der Gegenwart sind das meist Menschen von außen, die dafür verantwortlich sind. Agenturen, Verbände, Händler*innen und Verkäufer*innen erklären den Kunden was an den Produkten so toll ist. Oft auf wahlweise unwissende oder zynische Art und Weise. So hat meine Schwiegermuter in spe vor ein paar Wochen an der Fleischtheke von der Verkäuferin erfahren, dass Bio kompletter Humbug ist. Der einzige Unterschied ist, dass die Tiere sechs ein paar Wochen vor der Schlachtung keine Antibiotika mehr bekommen. Man mag es kaum glauben, aber das ist so passiert. Oder aktuell die Kampagnen mit Bruderhähnchen-Eiern. In Discountern und Supermärkten tauchen spielerisch-bunt gestaltete Eierpackungen auf, auf denen steht, dass die Bruderküken zu den eierproduzierenden Legehennen nicht als Eintagsküken getötet werden. Endlich was für die Würde des Tieres, möchte man glauben. Die Eier sind allerdings trotzdem aus Bodenhaltung und wenn man im Internet sucht was mit den Bruderhähnchen passiert, nachdem sie am ersten Tag nicht getötet werden, erfährt man nicht viel konkretes: sie werden „sogar doppelt so lange aufgezogen wie konventionelle Küken“ und haben Stroh als Beschäftigungsmaterial. Ob sie in irgendeiner Form tiergerecht behandelt werden, bleibt offen. So wie ich Vermarktung in der Landwirtschaft kennengelernt habe, ist das für mich ein sehr rotes Tuch. Was man gut macht, wird normalerweise nicht verschwiegen. Ich gehe also davon aus, dass die kleinen Hähnchen nicht viel Spaß in ihrem kurzen Leben haben..
Wenn man, wie die Neueinsteiger der nachhaltigen Lebensmittelproduktion den Aufwand dokumentiert, kann man nicht nur ein Verständnis für die eigene Arbeit schaffen, sondern auch ein Verständnis für die Prozesse generell. Ein*e Verbraucher*in, der sich vielleicht noch nie mit Hühnerhaltung beschäftigt hat, wird sehr viel kritischer über die Bruderhahn-Eier nachlesen, wenn er oder sie weiß, was noch alles zu einem tierwürdigen Leben dazugehören kann, außer nicht am ersten Tag vergast zu werden.
Inzwischen habe ich aber schon ein paar richtig gute Ergebnisse gesehen und Ansätze kennengelernt. Zum einen von Verbrauchern, die mir nach einer Fleischpaketsendung geschrieben haben, dass sie den Preis für unseren Aufwand zu gering fanden (ihr erinnert euch, weiter oben: kein Gehalt für mich mit eingerechnet), oder auch Gastronomen/Foodaktivisten die den Preis akzeptieren den ich brauche. Kein Handeln, kein räuspern, einfach Vertrauen darein, dass ich nicht versuche bei ihm das rauszuholen, was mir andere vielleicht weggehandelt haben. Das war mein Gedanke bei einem Münchner Metzger, von dem ich bei Fleischglück erfahren habe: auch er lässt seine Produzenten den Preis bestimmen.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.