Undercover einkaufen: Jetzt mal ehrlich!
Ich bin nicht nur ein begeisterter Erzeuger, sondern auch ein begeisterter Konsument guter Lebensmittel. Wo immer ich einen Hofladen, eine Handwerkliche Metzgerei oder Bäckerei, oder auch einen bäuerlich-gärtnerischen Marktstand sehe (Gemüse-Händler feiere ich jetzt nicht so), bin ich am Start. Was mir dabei wesentlich wichtiger ist als eines der vielen Biosiegel, ist der persönliche Kontakt mit den Erzeugern, bzw. ihren Angestellten.
Wenn mich jemand fragt was ich beruflich mache, dann sage ich „Bauer“. Nicht zuerst „Biobauer“, „Landwirt“ oder sonst irgendwas, sondern Bauer und als ein solcher fühle ich mich. Das Bio kommt erst später. Ich unterstütze zehn mal lieber einen sympatischen, bäuerlichen, konventionellen Betrieb, als eine Bio-Kette. Worauf ich mit der Einleitung hinaus will? Ich will verdeutlichen, dass ich niemandem etwas reinwürgen will, oder irgendwen bloßstellen, deswegen werde ich jetzt auch niemanden namentlich in die Pfanne hauen.
Vor ein paar Tagen habe ich ein von Foodbarn produziertes Portrait der jungen Berliner Metzgerei „Kumpel & Keule“ gesehen, die vom Foodaktivisten Hendrik Haase mitbegründet wurde. Er sagt in dem Clip etwas, dass mich sehr zum nachdenken gebracht hat, nämlich, dass man seiner Meinung nach bei Menschen einkaufen soll, die einem gerne Auskunft über ihre Produkte geben. Wie oben angeführt, gehe ich selbst auch gerne zu Erzeugern und interessiere ich mich sehr für das, was ich kaufe. Als als jemand vom Fach weiß ich aber die mir gegebenen Informationen auch einzuordnen. Im Hofladen und auf dem Markt steht in den seltensten Fällen der Chef höchstpersönlich, deswegen ist es auch nicht immer zufriedenstellend, was es an Antworten gibt, das kann ich aber akzeptieren. Was ich aber ziemlich traurig finde ist, wenn den Kunden Halb- oder Unwahrheiten aufgetischt werden. Dazu möchte ich gerne zwei Geschichten erzählen.
Die eine hat sich während meiner Ausbildung zugetragen. Ich war auf dem sogenannten „Rinderkurs“, einer Woche Intensivunterricht in Sachen Rinderhaltung auf dem staatlichen Lehr- und Versuchsbetrieb Haus Riswick bei Kleve. Einmal die Woche ist dort ein kleiner Markt, der von regionalen Erzeugern beschickt wird. Während einer Raucherpause kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die mit ihrem Mann eine Gärtnerei führt. Wir unterhielten uns ein bisschen weil nicht viel los war und mir ihr Marktstand und die Auswahl sehr gefiel. Alle angebotenen Gemüse und Früchte waren aus eigenem Anbau, was mich zu der Frage führte, ob eine Bio-Anerkennung für sie nie in Frage gekommen wäre. Mir schien der Schritt vom Status Quo zum Siegel als kein großer. Falsche Frage. Was folgte, war eine Tirade, dass sie sich die Umstellung mal überlegt hätten, sie von Bioland aber „sooo einen Dicken“ Katalog mit Vorschriften und Verboten bekommen hätten und Bio sowieso alles Lüge wäre, weil keiner sagen kann, dass Bio-Gemüse 100% ohne Chemie sei, weil ja schon alleine in der Luft Chemikalien wären.
Ich habe für mich herausgezogen „Wir haben uns mal informiert, aber der Aufwand hätte sich für uns nicht gelohnt“. Das wäre eine ehrliche Antwort gewesen. Den oft genutzten Zusatz „wir brauchen kein Siegel, weil wir im direkten Kontakt mit den Kunden viel besser darstellen können wie wir arbeiten“ hätte ich auch wunderbar akzeptieren können, auch wenn das meiner Meinung nach immer die Einleitung zur Verdunkelungstaktik ist. Der Satz ist zwar keine Unwahrheit, aber eine Halbwahrheit, weil die Siegel der Bioverbände eine Garantie sind, dass die Lebensmittel beispielsweise nicht chemisch behandelt wurden. Schimpfkanonaden, Ausflüchte und Beschuldigungen sind keine solche Garantie. Wozu eine solche „Antwort“ führt, ist, dass sich die Kunden nicht mehr trauen zu fragen. Dazu auch meine zweite Geschichte, die sich vor kurzem hier in Norddeutschland zugetragen hat.
Auf Sylt gibt es einen ganz wunderbaren Hofladen, der die Gunst der Lage nutzt und viele Produkte mit Inselsilhouette vertreibt. Die meisten kommen auch von der Insel, aber nicht alle – was auch OK ist. Meine Freundin ist Sylterin, weswegen wir ab und zu dort sind und dann die kleinen Läden unsicher machen. Wenn uns die Auswahl irgendwo nicht gefällt, kaufen wir eine Limonade oder etwas anderes kleines und verdrücken uns wieder. Hier waren wir aber wirklich angetan von der Auswahl, die über das gewöhnliche Maß deutlich hinausgeht. Von meinen Eltern und meinen Arbeitgebern gewohnt, dass interessierte Fragen gerne beantwortet werden, fragte sie mit einer Packung Pastrami in der Hand, ob denn alle Produkte aus eigener Herstellung oder von der Insel seien (gar nicht so weit hergeholt, wo doch die Etiketten alle mit Hof-Logo und Insel-Silhouette bedruckt sind und die Einzigartigkeit der Insellage in jedem Winkel und Halbsatz verdeutlicht wird). Falsche Frage. Was folgte war auch hier eine dramatische Belehrung, die der interessierten Frage nicht gerecht wurde. Zusammengefasst war die Aussage, dass die Insel ja überhaupt nicht in der Lage sei so viel zu produzieren, wie die Gastronomie, die Supermärkte und die Läden nachfragen. Legitim, absolut legitim. Vielleicht auch die Wahrheit, aber keine Antwort auf die Frage.
Mein Problem mit der Antwort war ganz konkret, dass die interessierte, vielleicht höchstens etwas naive Frage abgekanzelt wurde, als wäre sie überkritisch oder gar provokant gewesen. Manchmal gibt es ja wirklich auf lokaler Ebene nicht die Produkte die man gerne anbieten möchte und eine eigene Herstellung lohnt sich nicht. Das wäre eine wunderbar ehrliche Antwort gewesen. Im Auto später wurde ich gefragt, ob es denn dumm gewesen sei, diese Frage zu stellen. War es nicht.
Was bezwecken solche Antworten? Sie verhindern weitere Fragen. Das ist alles. Bauern reagieren sehr empfindlich auf Kritik und vermuten hinter jeder Ecke einen Kritiker, auch hinter harmlosen Fragen. Meine Freundin hatte mit ihrer Frage einen wunden Punkt getroffen, da eben nicht alles von der Insel kommt, so wie es gerne suggeriert wird. Auch wenn es ein regional produziertes und wirklich herausragend leckeres Produkt ist. Aber eine ehrliche Antwort, die den Verbrauchern Freude macht, sich mit den Lebensmitteln auseinanderzusetzen ist das nicht.
Zurück zu Kumpel und Keule: sie haben in Berlin nach Jahrzehnten, in denen Metzgereien nur schlossen, eine Metzgerei aufgemacht. Nicht nur irgendeine, sondern eine „gläserne Metzgerei“. Ein Ort also, an dem dem Verbraucher der ganze Weg vom Tier zur Wurst gezeigt wird. Einfach mal gegen das allgemeine Gefühl des herstellenden Gewerbes, dass von einem Witz ganz gut zusammengefasst wird: Der Metzgerlehrling steht das erste Mal beim Wursten neben dem Meister und schaut zu. Irgendwann sagt er zu seinem Meister: „Wenn das raus kommt, was da rein kommt, dann kommst du rein und nie wieder raus!“ Kumpel und Keule arbeiten dagegen an, mit Offenheit, auch darüber, wo die Tiere herkommen.
Aus der Hohenlohe nämlich, knapp 400km von Berlin weg. Das wäre auch meine Frage, wenn ich dort an der Theke stehen würde, ob regionale Erzeuger keine Alternative gewesen wären? Das wäre eine sehr viel kritischere Frage gewesen, eine konkrete Infragestellung nämlich. Ich gehe aber davon aus, dass ich eine Antwort bekommen würde. Vielleicht, dass es in der Region kein Schwein in der Qualität gibt, oder nicht in ausreichender Menge. Vielleicht, weil dem GEH und Slow Food-Grundsatz „Erhalten durch aufessen“ gefolgt wird und die Schweine aus der Region normale Hybriden und keine alte Landrasse wären. Was auch immer, aber bitteschön immer ehrlich. Ich finde es nämlich etwas schade, wenn Verbraucher so in die Irre geführt werden.
Und ich verlange da wirklich nicht viel, weil es gibt einen Haufen Produzenten, die nicht nur ehrlich arbeiten, sondern auch ehrlich, kompetent, stolz und selbstkritisch antworten können. Fragen heißt ja nicht gleich, dass irgendwas in Frage gestellt wird und nur weil die großen Supermärkte, Marken und Discounter versuchen den Verbraucher auf die falsche Fährte zu locken, müssen wir kleinen Erzeuger das nicht auch machen. Mir ist es in solchen Situationen immer für die Leute peinlich, die so irreführende Antworten geben und ich gebe mich selbst nicht als Bauer zu erkennen. Sollte ich vielleicht mal. Kunden, die einfach nur aufgeklärt werden wollen und sich für die Arbeit der Erzeuger interessieren vergrault man durch solche Aktionen zurück zum Supermarkt, wo die Regal-Einräumer bei Nachfragen immerhin freundlich mit den Schultern zucken.