Sechs Wochen Bauer: „Mama, kannst Du mich abholen?“
Das stellt man sich so schön vor, wenn man in der Stadt zwischen Studium, Teilzeitstelle, Sport und Freundin den Spagat zu schaffen versucht. Das Leben auf dem Land klingt da verlockend. Ja, sicher, früh raus. Dann aber echte, ehrliche Arbeit mit Tieren, Pflanzen und vor allem guten, unverstellten Menschen. Was ein Leben da draußen auf dem Land. Die Realität sieht da meistens ganz anders aus.
Mein großer Vorteil gegenüber den meisten Träumern im Vorlesungssaal war ja von Anfang an, dass ich wusste, worauf ich mich einlasse. Ich komme vom Bauernhof, komme vom Dorf, habe meine Ausbildung und hab in Schweden auf einer Insel gelebt, auf der es eine geschotterte Straße gab, auf die man aber nur via Fähre kam. „Landleben“ kann ich.
Deswegen ist Mittelangeln für mich kein Kulturschock, sondern im Rückblick nach anderthalb Monaten ein knappes „Japp, läuft“. Ich war schon an genug verschiedenen Orten, als dass ich weiß, dass es nicht immer nur rosig bleiben wird. Ich habe aber auch schon genug erlebt, als dass ich weiß, dass das ganz gewaltig von mir abhängt. Deswegen gilt für mich immer weiter „volle Kraft voraus!“.
Aufstehen um sechs Uhr morgens ist mir zu keinem Zeitpunkt im Leben so leicht gefallen wie momentan. Das liegt vielleicht dran, dass ich nicht, wie als Jugendlicher bis in die Puppen aufbleibe um „SWR3 Latenight“ zu gucken, dafür aber fleißig meinen Mittagsschlaf mache. Das Leben auf dem Land bedarf immer einer etwas besseren Planung als das in der Stadt und wenn man an seiner Arbeitsstelle lebt, also nicht auf dem Weg von der Arbeit wo vorbeikommt, doppelt. Ich habe zwar meistens ein Auto zur Verfügung, bin aber in der gesamten Zeit die ich hier bin ein einziges Mal noch abends einkaufen gefahren. Mein größtes Bedürfnis ist Essen und das wird von meinen Arbeitgebern voll und ganz gestillt.
Sozial passt es für mich nach wie vor super. Man harmoniert immer besser und ich merke, dass ein großer Wunsch herrscht, dass ich zumindest im Tages- und Wochengeschäft auch im planerisch-organisatorischen eine größerer Rolle spiele und das ist ganz in meinem Sinne. Meine größte Hemmung ist aktuell noch, auch blöde Arbeiten zu delegieren. Das gehört aber dazu. Die Freude der Anderen, einen langweiligen oder anstrengenden Job nicht machen zu müssen, ist eine sehr vergängliche. Es ist besser, wenn nicht zwischen guten und schlechten Aufgaben unterschieden wird. Dann geht die Arbeit viel besser von der Hand. Es ist schön, so in der Entscheidungsfindung und Planung eingebunden zu sein und bringt mich auf allen Ebenen wirklich weiter. Schon als ich noch Jugendlich war, hat sich mein Vater meine Meinung zu einem Thema angehört und auch in der Ausbildung war das ähnlich, aber wirklich eigene Beobachtungen mit Ideen zu verknüpfen, diese vorzuschlagen, zu argumentieren und umzusetzen habe ich in der Dichte noch nicht erlebt. Eine gute Vorbereitung auf die Selbstständigkeit.
Den Aspekt „Arbeit“ habe ich jetzt schon angeschnitten. Mir geht sie leicht von der Hand. Klar, irgendwie bin ich ein Aussteiger aus dem Stadtleben. Flüchte aufs Land, wo ich meine Ruhe hab. Ist auch so. Aber, wie schon oben geschrieben: ich wusste was mich erwartet und habe mich genau dafür entschieden. Die Arbeit ist gleichzeitig mein Hobby, sie gibt mir Selbstbewusstsein, Kraft und das Gefühl, Teil von etwas Gutem zu sein. Wenn ich Feierabend habe, bin ich selig. Ich brauche kein Hobby, auch wenn ich sehr oft daran denke, ob ich es nicht irgendwie einrichten kann, zumindest einmal die Woche nach Kiel zum Rugbytraining zu fahren. Die Mannschaft und den Sport vermisse ich schon sehr. Der Fußball ist keine Alternative mehr. Auch wenn es da überall Möglichkeiten gäbe. An American Football hab ich gedacht, aber die Flensburg Sealords hab ich mir einmal angeschaut und die ganzen dreckigen Aktionen und Rempler, nachdem der Spielzug schon abgepfiffen ist, kann ich mir nicht erlauben. „Mein Körper ist mein Kapital“.
Ganz bei mir bin ich also. Kein Spagat. Ich verbringe zwei von drei Wochenenden bei meiner Freundin in Kiel, die Aspekte „Lieferservice für Essen“, „nach 20 Uhr einkaufen“, sowie „stabiles Internet“ kann ich dann also ganz entspannt genießen. Ich komme sehr zur Ruhe, habe viel Zeit nachzudenken und nutze diese auch. Für den Blog habe ich wegen der Getreideernte die letzten Wochen weniger Zeit als erhofft, morgen kommt aber mein DLAN-Adapter, dann sollte ich aber zumindest die freien Minuten nutzen können, weil das Internet hoffentlich verlässlich funktioniert. Ein schönes Leben hab ich auf dem Land. Das „Mama, kannst Du mich abholen“ war nur ein Alligatoah-Titel, an den ich immer denken musste, als ich mir den Titel für den Post überlegt habe.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.