Freilandschweine: Chance oder große Gefahr?
Ein emotionales Thema
Wie alle Medaillen hat auch diese zwei Seiten. Wenn man davon ausgeht, dass die konventionelle Schweinehaltung mit ihren großen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Hintergründen, bzw. Legitimation der richtige Weg ist, dann ist die Freilandhaltung eine einzige Katastrophe. Matsch und Schmutz tragen Krankheitserreger in sich, Wind und Frischluft tragen Krankheitserreger von überall an die Tiere heran. Weidezäune können motivierte Besucher nicht abhalten und Vögel und andere Wildtiere wollen sich mit den Draußenschweinen das Futter teilen. Auch sie sind im Grunde bewegliche Bazillenbomben.
Persönliche Überzeugung
Wenn man von den Standpunkten Tierwohl und vor allem Fleischqualität schaut, dann gibt es keine Alternative zur Freilandhaltung. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Meine unwissenschaftlichen und unrepräsentativen eigenen Beobachtungen möchte ich gerne teilen. Vor allem zwei Erlebnisse haben mich von der Fleischqualität überzeugt. Das erste war, als wir auf meinem letzten Lehrbetrieb vier junge Ferkel mit so knapp 25kg Lebendgewicht an einen befreundeten Demeter-Hof mit Offenstall verkauft haben. Die Schweine dort hatten auch viel Bewegungsfreiheit, allerdings auf einem befestigten Gelände. Stall und Außenbereich waren beide betoniert. Als ich drei Monate später zu Besuch auf dem Hof war, konnte ich genau beobachten, wie anders sich die Tiere entwickelt haben. Die Schweine im Offenstall waren im Vergleich zu ihren Vollgeschwistern im Freiland zwar etwas größer, aber auch sehr viel „weicher“ und „zerfließender“. Sie hatten am ganzen Körper, vor allem aber am Hals weiches, schwabbelndes Fett angesetzt, wie es bei allen „Drinnenschweinen“, ob Bio oder Konventionell, Normalität ist, das ihre Geschwister im Freiland aber in dieser schwabbelnden Form nicht hatten. Die Fütterung war im Grunde die gleiche. Getreide, gedämpfte Kartoffeln und ziemlich viele Abfälle aus dem Garten, wie Kohlblätter, Rote Bete-Laub und solcherlei. Unsere Schweine haben aber den halben Tag im Dreck gewühlt. Das hat Muckis gemacht.
Das zweite Erlebnis war, als wir eine Partie unserer Freilandschweine geschlachtet und beim Metzger hatten. Die Hälften sollten jetzt zerlegt werden und meine Chefin und ich beim Verpacken helfen. Nach einer Weile merkte ich, dass der Fleischer der die Vorderviertel auseinandernahm schwitzte und fluchte. Ich fragte ihm, ob es ein Problem mit dem Fleisch gäbe und er echauffierte sich, dass er das Schulterblatt nur so mühevoll ausgelöst bekam. Normalerweise reicht wohl ein Schnitt um das untere Gelenk herum und dann kann man es ohne weiteres Schneiden herausreißen. Das klappte bei unseren Schweinen nicht. Er meinte auf meine Nachfrage, dass es 50 Mal schwerer sei als bei einem normalen Schwein. Ich würde wetten, dass es nicht ganz 50 Mal schwerer war, aber mit Sicherheit signifikant.
Nicht ohne Haken
Erste Kontaktaufnahme mit den Kleinen
Schweine in Freilandhaltung bringen viele Schwierigkeiten wieder zutage, die die konventionelle Haltung zum einen durch Abschottung der Bestände, oder im Detail z.B. mit den sogenannten „Ferkelschutzkörben“, den „Käfigen“ gelöst hat. Vom erhöhten Arbeitsaufwand fange ich jetzt gar nicht erst an. Zwei Beispiele sind, ganz konkret um die Geburt herum, die Probleme der Ferkelverluste und der schwierige Umgang mit aggressiven Sauen. In unseren Wäldern gehen die größten Gefahren nicht etwa von gefährlichen Wölfen oder Bären aus, sondern von aggressiven Bachen, Wildschweinmamas. Diesen Schutzinstinkt haben Hausschweine ganz genauso. Gepaart damit, dass Ferkel beim Hochnehmen quieken als würde man sie aufschneiden, sind junge Mütter mit großer Vorsicht und noch größerer Erfahrung zu genießen. Immer wieder haben meine Kollegen und ich uns mit beherzten Sprüngen über den Zaun vor Sauen in Sicherheit bringen müssen. Dazu kommt, dass die Ferkelhütten, die im Freiland fast schon Standart sind, nicht besonders gut kontrolliert werden können. Zumindest nicht, wenn man die Möglichkeit haben möchte schnell wegzulaufen. Man muss auf die Knie und mit dem Oberkörper durchs Fenster oder den Eingang..das ist nicht so der wahre Jakob.
Auch werden im hohen Einstreu wesentlich mehr Ferkel von den Muttertieren erdrückt als in konventionellen Ferkelbuchten mit speziellen Wärmeplatten oder -lampen, die die Ferkel motivieren sich nicht im Liegebereich an der Mutter aufzuwärmen, sondern einen halben Meter entfernt.
Warum also trotzdem Freilandhaltung?
Weil es unterm Strich das Richtige ist. Ich möchte kein Fleisch von Tieren essen, die nur bei drei Gelegenheiten in ihren Leben mehr als fünf Meter geradeaus laufen konnten: beim Absetzen (der Trennung von der Mutter), beim Einstallen im Mastbetrieb und auf dem Weg zum und vom Transporter zum Schlachten. Auf solches Fleisch verzichte ich gerne. Viele Dinge, wie Endo- und Ektoparasiten bleiben den konventionellen Schweinen zwar häufiger erspart und können effizienter bekämpft werden, aber ich selbst würde lieber ab und zu diesen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein, als mein Leben im Mastabteil auf Spalten zu verbringen. Diese Entscheidung für meine Tiere zu treffen ist meine Aufgabe als Landwirt. Bei anderen Landwirten fällt sie anders aus, das kann ich auch respektieren. So wie ich respektieren kann, dass die Kinder in Südkorea alle super Abschlüsse schaffen, ich meinen Kindern den irrsinnig harten Weg dahin aber gerne ersparen möchte.
Perfekt ist die Freilandhaltung also nicht, aber die Idee eines von allen Standpunkten perfekten landwirtschaftlichen Systems ist illusorisch. Irgendwo werden immer Abstriche gemacht. Bei primär wirtschaftlich ausgerichteten Betrieben ist das oft das Tierwohl, bei ökologischen Betrieben in der Regel die Effizienz. Ich glaube aber, dass eine Weiterentwicklung der Freilandhaltung große Chancen bietet und auch den alten Schweinerassen wieder ihre Legitimation zurückgibt. Die Sauen der alten Rassen werfen wesentlich weniger Ferkel, vielleicht so 7 oder 10 pro Wurf, die haben dann logischerweise mehr Platz zum Ausweichen und sind auch mobiler wenn sich die Sau hinlegt, weil sie größer geboren werden.
Was man in der ökologischen Landwirtschaft gelegentlich findet sind unausgereifte Konzepte, wo der gute Wille dann schon übers Ziel hinausgeschossen ist und die Schweine jahrelang den gleichen Matschauslauf haben. Das ist dann ein reines Parasitenparadies, auch wenn man durch vorbeugende Maßnahmen (ökologisch natürlich) viel machen kann. Solche Konzepte werden oft herangezogen wenn die Freilandhaltung kritisiert wird. Ich denke aber, dass man da genauso differenzieren muss, wie wenn man konventionelle Mastanlagen mit Schockvideos gleichsetzt. Meiner Interpretation nach ist diese häufige Reaktion konventioneller Landwirte eine ähnliche Bankrotterklärung wie die häufige Reaktion von „Flexitariern“ oder „Fleischessern“ gegenüber Vegetariern oder Veganern: „Das ist ungesund. Man braucht Fleisch.“, statt sich ernsthaft mit den Vor- und Nachteilen einer Alternative auseinanderzusetzen und sich dann aufgrund der eigenen Argumente wieder für den eigenen Standpunkt zu entscheiden.
Für mich selbst wird die Zucht von Freilandschweinen in Zukunft wohl nicht in Frage kommen, weil ich meines Wissens aus dem Landkreis mit einem der größten Wildschweinaufkommen in Deutschland komme und unser Hof von der Lage her nicht für eine Freilandhaltung mit mehreren Dutzend Tieren geeignet ist. Ein paar wenige für den Eigenverbrauch werden es aber immer sein.
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