Bewahrenswert vielfältig: Alte Nutztierrassen
Alte Nutztierrassen sind meine Leidenschaft. Wirklich. Während meine Altersgenossen sich von Diddlblättern über Gameboys zu Playstation-Zockern entwickelt haben, habe ich im „Atlas der Nutzviehrassen“ gelesen. Ich besitze meine Ausgabe seit 1996. Geboren bin ich 1990. Meine Eltern behaupten, ich hätte mit dem Buch lesen gelernt. Ob das wirklich so ist lässt sich nicht mehr nachvollziehen, das Buch ist aber auf jeden Fall der Gegenstand, der mich schon am längsten mit überall hin begleitet. Bestimmt 20 Menschen besitzen dieses Buch auf meine Empfehlung hin.
Die alten Nutztierrassen stehen für ihre Ursprungsregionen wie kaum etwas anderes. Sie sind aus ihnen entstanden. In kargen, steilen Gegenden haben sich andere Tiere durchgesetzt als in fetten Regionen mit einem großen Futterangebot. Manche Gegenden sind Heimat vieler Schafrassen, andere die vieler Schweine-, Rinder- oder Ziegenrassen. Für Obst und Gemüse gilt alles was ich schreibe analog. Mit Ausnahme des Umstandes vielleicht, dass ich mich schon Zeit meines Lebens dafür interessiere. Das, was heute noch von den alten Landschlägen übrig ist, ist von der Vielfalt her ein trauriger Nachhall dessen, was einmal war. Über die Jahrhunderte fand genetischer Austausch nur sehr begrenzt statt. Wenn, dann meist, wenn Herrschaftsgebiete wechselten. So entstanden lokale Schläge, die sich mit fließenden Übergängen zu Rassen zusammenfassen ließen, überregional aber dann immer wieder unterschieden.
Von den tausenden Rassen, die es von Enten, Gänsen, Hühnern, Puten, Schafen, Schweinen, Ziegen, Rindern, Pferden, Eseln, Tauben, Hunden, Katzen usw. weltweit gibt, sind alleine in Deutschland 130 gefährdet. Mal mehr, mal weniger akut. Gestrichen von der „Roten Liste der gefährdeten Haustierrassen“ werden in der Regel nur die Rassen die aussterben. Manche kommen in Mode, oder man hat zumindest das Gefühl. Am Ende schwärmen aber nur ein paar Feuilletonisten und Slow-Fooder von der besonderen Qualität des Fleisches von Beispielsweise dem Mangalitza Wollschwein, oder dem Schwäbisch-Hällischen Schwein, es haut die Leute aber nicht so vom Hocker wie es eigentlich sollte. Zumindest nicht so nachhaltig, als dass sich die Bestände einer Rasse ernsthaft erholen könnten. Einschränkend möchte ich sagen, dass die Veränderung und das Verschwinden von Tierpopulationen etwas ganz normales ist, ich bin überzeugt davon, dass die immer detaillierter werdenden Aufzeichnungen der letzten 200 Jahre der Grund für die Panik ist. Früher ging die Erinnerung auf den Dörfern ja oft nicht viel weiter als zwei, drei Generationen zurück..
Was ist das Problem der alten Rassen?
Es sind, wie so oft, die Globalisierung und der Fortschritt der Wissenschaft. Diese beiden Faktoren führen dazu, dass einzelne Rassen sehr gezielt und intensiv bearbeitet wurden und werden und jeder ein Stückchen vom Kuchen abhaben möchte und es auch kann. Vor allem aber hat jeder das Recht dazu. Kein Bauer hat die Pflicht, sich ins eigene Fleisch zu schneiden, „nur“ weil er eine alte Rasse hält.
Ich habe lange einen gewissen Groll gegen die modernen Landwirte gehegt, die in ihren Ställen alle die genetisch gleichen Holstein Friesian Rinder, Dänische Hybridschweine und ebenfalls hybridisierte Legehennen und Masthähnchen halten. Erst letzte Woche, als wir mit unserem Betrieb auf der Landwirtschaftsmesse Norla waren, habe ich geschafft, die Entwicklung für mich in ein Bild zu rücken. Die Leute, die mit den leuchtendsten Augen um die Gehege mit den ausgestellten alten Nutztieren standen waren nicht etwa die Kinder. Es waren die Landwirte. Die Landwirte der Generation meiner Eltern haben in ihrer Jugend hier in Angeln mit Angler Sattelschweinen und Angeliter Rotvieh (heute „Angler Rind“) gearbeitet, sich morgens vor der Schule um halb fünf im Anbindestall zwischen die Kühe gedrängt um sie dort dann in der Hocke zu melken. Diejenigen, die ihre Betriebe modernisiert haben, die mit der Zeit gegangen sind, ihre Kühe angefangen haben zu enthornen, immer intensiver zu füttern und jetzt die letzten Jahre sogar nicht mehr auf die Weide zu lassen, standen mit leuchtenden Augen und strahlenden Gesichtern um die buddelnden Schweinchen, tippten ihre Söhne und Töchter an und erzählten ihnen von früher. So wie Dein Vater Dir vielleicht von seinem ersten Auto erzählt hat. Oder dem Auto Deiner Großeltern. Schöne Geschichten, nett anzuhören, aber tauschen würde man nicht wollen.
Vielleicht schreist Du jetzt „Doch! Ich fahre meinen Opel Kadett aus Überzeugung! Nach dem elektronischen Fensterheber war jeder zusätzliche Komfort und jedes Sicherheitsfeature Kinderkram, über 120 auf der Autobahn brauche ich nicht, für mich fängt der Urlaub bei der Abfahrt an!“ Dann frage ich, ob Du deinen Kadett fährst, seit Du dir leisten kannst auch mal eine Panne zu haben, nicht immer sofort überall sein zu müssen, oder ab Werk.
Die wenigsten Landwirte haben die Kombination aus wirtschaftlicher Sicherheit, Selbstbewusstsein, den Kontakten und dem Weitblick gehabt, alte Rassen über Jahrzehnte in Reinzucht zu erhalten. Auf der Norla vergangene Woche habe ich das Gespräch meiner Chefs mit einem Züchterkollegen mitgehört, der erklärt hat, was am Beispiel des Angler Rindes falsch gelaufen ist. Die Rasse stammt aus der Gegend in der ich gerade arbeite, eine feuchte Grünlandgegend, und galt, vor dem Aufkommen der knapp ein Drittel größeren Holstein Friesians (HF), als eine hervorragende Grundfutterverwerterin (Milch aus Gras). In der intensiven Landwirtschaft wurde die Eigenschaft der Grundfutterferwertung aber immer unwichtiger, so dass sich die Angler-Züchter viel Gewinn hätten entgehen lassen, wenn sie keine HF-Genetik eingesetzt hätten. Nach Jahren des HF-Boom stellte man aber fest, dass in einigen Gegenden der Welt einfach keine rentable, mega-intensive Rinderhaltung auf Kraftfutterbasis möglich ist. In Irland und Neuseeland zum Beispiel. Dort wurden auf einmal Grünfutterfresser gebraucht und dafür wurden auf einmal wieder Angler Rinder der alten Zuchtrichtung gesucht, die es kaum mehr gibt.
Die alten Rassen haben oft aus wirtschaftlicher Sicht keine wirkliche Existenzberechtigung mehr. Und die Wirtschaftlichkeit ist der unumstößliche Eckpunkt eines jeden Betriebes, ob ökologisch oder konventionell. Das ist leider die Realität. Allerdings ist das nicht das Ende, denn ich bin davon überzeugt, dass es ein Umdenken geben wird. Aktuell ist das Denken der Landwirtschaft nach wie vor „immer höher und weiter“, „wachsen oder weichen“ etc. und auch Ikarus hat feststellen müssen, dass oben nicht nur die Luft dünn ist, sondern auch die Flügel immer instabiler werden. So wie es beispielsweise in Irland und Neuseeland das Abwenden von der intensiven Fütterung gegeben hat und versucht wird die Wirtschaftlichkeit durch geringen Kraftstoff- und Düngemittel-Aufwände zu gewährleisten, so glaube ich auch, dass sich bei uns in einigen Gegenden dieses extensivere Denken durchsetzen wird. Viele Bio-Höfe, vor allem Demeter-Höfe wirtschaften ja schon lange so.
An diesem Punkt kommt meiner Meinung nach die Vielfalt der alten Rassen ins Spiel. Dadurch, dass echte, individuelle Betriebskreisläufe auf jedem Hof naturgemäß anders sind, wird es vor allem im Biobereich in Zukunft einen Bedarf und ein Hinwenden zu den besonderen Eigenschaften der alten Rassen geben. Mein Vater, der mich mit meiner Nutztiernerdigkeit lange milde belächelt hat, hat vor knapp zwei Jahren seine große Liebe gefunden, das Vogesenrind. Es stammt, wie der Name sagt, aus den französischen Vogesen, die anderthalb Autostunden vom Hof meiner Eltern entfernt beginnen. Es gilt als anspruchslos, leichtkalbig und ein guter Futterverwerter. Meine Eltern füttern unsere Kühe fast das ganze Jahr ohne Kraftfutter und wegen der Käserei keine Silage. Das passt wie die Faust auf’s Auge. Aktuell haben wir zwei Vogesenrinder, Gina und Baron, mein Papa ist aber dran und will weitere kaufen. So wie es aussieht, kommen sie mit unserer Fütterung ziemlich gut klar. Im Gegensatz zur modernen HF-Genetik, mit der wir es lange versucht haben.
Was ist also mein Fazit aus der ganzen Geschichte?
Ich persönlich möchte ganz verstärkt mit alten Rassen arbeiten und unseren Hof irgendwann als Arche-Hof auszeichnen lassen. Ich glaube daran, dass der Betrieb meiner Eltern zukunftsfähig ist, ohne sich weiter in eine Richtung zu spezialisieren. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass unsere Chance eine weitere Diversifizierung ist. Und da stecke ich viel Hoffnung in die Möglichkeiten, die uns die alten Landrassen bieten. Ich möchte mit Rheinländer-Hühnern (mehrjährig hohe Legeleistung) und Bunten Bentheimer Schweinen (gut für die Außenhaltung) arbeiten, liebäugele mit Aylesburyenten (Wirtschaftstyp), Fränkischen Landgänsen, Coburger Fuchsschafen (meine Freundin ist für Tiroler Schwarznasenschafe), Cröllwitzer Puten, und und und. Das waren jetzt immer nur meine absoluten Favoriten. Ich könnte pro Tierart mindestens zehn Rassen auflisten die ich interessant fände. Ich habe mal als „Fingerübung“ eine Powerpoint angefangen in der ich Rassen nach Farbkonzepten zusammengestellt habe. Für Höfe zum Beispiel, die Tiere mögen die vorne und hinten schwarz sind mit einem weißen Ring in der Mitte oder ganz und gar hellbraun, oder, oder, oder…
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